Havelsymphonie (German Edition)
Manzettis deutschem Großvater. „In einer halben Stunde.“
„Dann ist es halb elf. Was macht ihr dann noch?“
Kerstin lag noch immer auf dem Rücken, stützte sich aber nun auf beide Ellenbogen. „Wir werden Lara abholen und zum Umzug gehen.“
„Zu welchem Umzug?“, fragte er vollkommen ahnungslos.
„Heute ist der 11.11. Jeder normale Mensch weiß, dass um 11:11 Uhr die Karnevalszeit beginnt, und da gibt es einen Umzug mit dem Prinzenpaar.“
„Ach ja.“ Manzetti hatte selbst als Kind keine Freude an diesem Klamauk gehabt. Nicht einmal der venezianischen Variante hatte er etwas abgewinnen können, als seine Eltern ihn fünfjährig dorthin geschleppt hatten.
„Und dann kommt ihr hierher?“
„Paola und ich ja. Sie freut sich schon auf ihren Vater, obwohl ihr die Nacht bei Jessica auch gefallen haben dürfte.“
„Und Lara? Kommt die nicht?“ Manzetti war so angespannt, dass er unwillkürlich die Fingernägel in die Handinnenfläche drückte, wo sie tiefe rote Furchen hinterlassen würden.
„Noch nicht, Andrea“, sagte Kerstin in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ. Dann stand sie auf, und Manzetti hörte ihre nackten Füße über das Parkett schweben, bis die Badtür ins Schloss fiel.
Und er blieb zurück mit seinen Gedanken und mit all seinen Fragen. Ihm schien, dass das Absicht war, dass Kerstin ihn bewusst mit sich allein ließ. Doch alles stille Nachdenken brachte ihn nicht weiter. Er fing immer wieder an derselben Stelle an. Zu der Zeit, als Lara nach seiner Meinung angefangen hatte, sich stark zu verändern. Manzetti interpretierte das neue Verhalten seiner Tochter als Metamorphose eines Kindes, das kurz vor dem Schlüpfen erschrak, weil es sich dem Ende eines langen Entwicklungsprozesses näherte.
Kerstin hatte dazu nur profan gesagt, dass Lara eine Frau werde.
Und weiter? Ja, und weiter war er mit seinen Überlegungen bisher nie gekommen, was sich auch an diesem Sonntag nicht ändern sollte. Er hatte ja einen Fall, in den er flüchten konnte.
Eine Stunde später saß er an einem Tisch in der Theaterklause, von wo er ohne Verrenkungen den Tresen im Blick hatte. Vor ihm standen ein Milchkaffee und ein wohlduftender Grappa.
Am Rande seines Blickfeldes saßen zwei Typen, von denen der eine unaufhörlich und mit wilder Gestik auf den anderen einredete. Der aber, ein großer Mann mit wehender Lockenpracht, ließ sich von seinem kleinen, ständig an einem weißen Seidenschal ziehenden Begleiter nicht aus der Ruhe bringen. Ehekrach, dachte Manzetti und kniff unweigerlich für einen winzigen Moment die Augen zu.
Mehr Gäste waren nicht in der Klause und die Kellnerin somit zum Polieren von diversen Gläsern verurteilt. Nach dem zweiten Grappa sah Manzetti endlich den Mann hereinkommen, auf den er gewartet hatte. Elliott Silbermann band sich eine Schürze um die Hüfte und postierte sich hinter dem Tresen neben seine Kellnerin.
Das Spektakel konnte also beginnen. Manzetti griff zu seinem Handy, und nur zwei Minuten später trat ein älterer, seriös gekleideter Herr durch die Tür, schaute kurz zu Manzetti und setzte sich dann an einen Tisch, der zwischen Tresen und dem Polizisten stand. Er legte weder den Mantel ab, noch trennte er sich von seinem Hut. Nach fast exakt dreißig Sekunden, noch bevor die Kellnerin zu ihm getreten war, erhob sich der Mann wieder, ging zwei Schritte zurück, nickte in einer überdeutlichen Geste Manzetti zu, und verschwand so leise, wie er gekommen war.
Manzettis Augen krallten sich an Silbermann fest. Der stand regungslos hinter dem Tresen und wich seinem Blick zunächst aus. Egal, ging es Manzetti durch den Kopf. Ich bin noch nicht fertig mit dir, bleib bloß da stehen und beweg dich nicht, dachte er und drückte sich selbst und der Idee von Michael Wendland unter dem Tisch die Daumen.
Und genau in diesem Moment quietschte die Tür auch schon das zweite Mal, als eine dickliche Frau, vielleicht Anfang fünfzig, eintrat und sich genau auf den Stuhl setzte, den der ältere Herr zuvor benutzt hatte. Auch sie legte ihren Mantel nicht ab, ergriff ihre Tasche, als die Kellnerin sich zu bewegen begann, und stand auf, noch bevor ihr ansehnliches Hinterteil den Stuhl überhaupt anwärmen konnte. Beim Verlassen des Lokals blieb sie kurz stehen, nickte Manzetti entschieden dreimal zu und trat dann wieder in den Nieselregen.
Manzettis Augen wechselten sofort wieder hinter den Tresen, wo Silbermann der Kellnerin etwas zuflüsterte, woraufhin die sich in
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