Havelsymphonie (German Edition)
diesem Bullen alles zu.
„Ich will die haben, fürs Labor. Die Kollegen werden Ihnen eine Tauschhose geben.“
Silbermann nickte hilflos und zog die Hose aus. Sein Hals schmerzte noch immer.
21
„Kommen Sie morgen?“ Sebastian Hendel strich sich durch seine Locken.
„Wohin?“
„Zur Operngala. Sie haben sich doch Karten von mir geben lassen.“
„Ja, natürlich“, bestätigte Manzetti.
Sie hatten in der letzten halben Stunde nicht viel miteinander gesprochen. Aber dazu blieb auch wenig Raum, denn mindestens achtzig Personalakten lagen auf dem großen Beratungstisch des Intendanten.
„Wonach suchen wir überhaupt?“ Hendels Frage war zulässig, kam allerdings reichlich verspätet.
„Nach jemandem, der vor fünfzehn Jahren ein Engagement in Hamburg hatte.“
„Und warum?“ Der Intendant, der noch immer nicht so recht wusste, was Manzetti eigentlich wollte, zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich gelassen zurück.
„Gisela Goldberg ist die Mörderin von Ihrer Trompeterin. Aber sie hat vor fünfzehn Jahren bereits einen Mord in Hamburg begangen. Davon bin ich überzeugt. Ihr Enkel war damals zu jung, um ihr zu helfen. Aber wenn sie dort auch einen Komplizen gehabt hat, der jetzt vielleicht in Ihrem Ensemble ist, dann können wir über ihn endlich die Frau ...“
„Herr Manzetti, das ist eine sehr gewagte Theorie. Finden Sie nicht?“ Hendel, der aus seiner keimenden Empörung keinen Hehl machte, rutschte auf seinem Stuhl wieder nach vorne. Er war wie eine alte Elefantenkuh bereit, seine Herde gegen jeden Angriff zu verteidigen.
„Schon. Aber wissen Sie, wie vielen Spuren wir bei Morden hinterherhecheln, die dann fast alle im sprichwörtlichen Sande verlaufen?“
„Das mag ja sein, aber wenn Sie diese Theorie wenigstens für sich behalten würden? Das Künstlervolk ist in manchen Angelegenheiten sehr schreckhaft.“
Das sicherte Manzetti mit einem kurzen Nicken zu und blätterte dann in den nächsten Akten. Nach einer weiteren halben Stunde waren sie endlich fertig und schoben den Berg Ordner an den Rand des Tisches.
„Und?“, fragte Hendel.
„Sieht so aus, als hätte niemand von Ihren Leuten je in Hamburg gearbeitet. Alle sauber.“
„Das freut mich. Mir wäre aus unserem Haus auch keiner eingefallen, der für einen Mord in Frage käme.“
„Da kann man sich schnell täuschen“, warf Manzetti mit erhobener Hand ein. „Denken Sie nur an Brutus. Sohn aus gutem Hause, dem seine Familie sicher auch nicht zugetraut hätte, dass er den guten alten Cäsar erdolcht.“
„Ihre Fantasie scheint Sie heute ganz besonders zu beflügeln, da wird mir fast schon angst. Oder ist das immer so, wenn Sie frei haben?“
„Frei?“
„Sonst tragen Sie teure italienische Anzüge. Heute Cordhose und Pullover.“
„Ach so.“ Manzetti strich mit der Hand über den linken Oberschenkel. „Ich ermittle sozusagen im Milieu. Da muss man sich anpassen, um nicht aufzufallen.“
Hendel schien nicht überzeugt. Seine Stirn warf viele Falten.
Darauf wollte Manzetti jetzt nicht eingehen. Er brach auf, denn er hatte noch etwas zu erledigen. Sein Weg führte über die kleine Brücke, die sich über den Theatergraben spannte, und sein Blick ging hinüber zu den Büsten von Goethe zu seiner rechten und Schiller zu seiner linken Seite. Er blieb sogar stehen, als ihm eine Frage durch den Kopf ging. Welch ein geniales Drama hätten die beiden aus diesem Mordsspiel machen können, wenn sich alles zu ihrer Lebzeit zugetragen hätte und sie nicht nur gelangweilt hier im Park herumstehen müssten? Hätte dann seine Deutschlehrerin auch drauf bestanden, das Werk im Unterricht zu lesen, obwohl es von Mord und Totschlag handelte? Wahrscheinlich ja, denn Macbeth hatte man ihnen ja auch angetan.
Nach wenigen Schritten bog er in die Wollenweberstraße ein und klingelte an der Tür eines dieser alten Hexenhäuser an der Stadtmauer, die er so mochte, und deren hervorragend ausgeführte Sanierung die Liebe der Eigentümer zum historischen Detail verriet.
„Ach, der Herr Kommissar.“ Margarethe Hofmann lächelte mit ihrem unnachahmlichen Ausdruck. „Sie haben bestimmt Kaffeedurst und wollen Ihr Versprechen einlösen.“
„Versprechen?“ Manzetti konnte sich an ein solches nicht erinnern.
„Sie wollten mich immer auf dem Laufenden halten.“
„Stimmt ja“, sagte er und griff sich, ganz so, als wäre ihm gerade seine Missetat bewusst geworden, mit den Fingerspitzen an die Stirn.
Vor einiger Zeit wäre sie
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