Havelsymphonie (German Edition)
sagte doch schon, dass ich es nicht mehr weiß.“
„Na gut. Reden wir nicht mehr über den Zeitpunkt, sondern über das, was sich noch so alles in Ihrer angeblichen Gedächtnislücke versteckt.“
„Und was soll das sein?“, fragte Silbermann plötzlich mit hellwachen Augen.
„Na, dass Sie überhaupt eine Großmutter haben, wie Sie eben leichtsinnigerweise zugegeben haben.“
Elliott Silbermann brauchte nur etwa zwei Sekunden, um sich seiner Lage bewusst zu werden. Er war von sich überzeugt und er war intelligent, ohne Zweifel. Gegenüber Manzetti fehlten ihm aber fast zwanzig Jahre Lebenserfahrung, und die waren durch nichts wettzumachen.
„Ich möchte meinen Anwalt sprechen.“
„Bitte.“ Manzetti schob ihm das Telefon hin. „Ich hoffe, Sie haben die Nummer Ihres Anwalts im Kopf.“
Silbermann beugte sich nach vorn, hielt aber mitten in der Bewegung inne und sah Manzetti hasserfüllt an. „Was wollen Sie von mir?“
„Den Namen Ihrer Großmutter und den Ort, an dem sie sich jetzt aufhält.“ Manzetti lehnte sich wieder zurück und tat so, als lausche er der Musik. Mal sehen, was jetzt passiert, dachte er. Er selbst würde an dieser Stelle lügen.
„Also gut.“ Silbermann nahm die Hand wieder vom Telefon und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Meine Großmutter heißt Ella Friedrich und wohnt in Sprenge bei Kiel. Aber wo sie jetzt ist, kann ich Ihnen wirklich nicht sagen.“
Manzetti musterte ihn. Wenn Silbermann sich auf der sicheren Seite wähnte, dann war er glatt auf dem Holzweg. Seine Gesichtszüge entspannten sich deutlich sichtbar, was bei einem Beschuldigten in der ersten Vernehmung eigentlich nie zu beobachten war. Das machte ihn zusätzlich verdächtig.
„Diese Großmutter meine ich nicht.“ Manzetti nahm wieder ein Blatt aus dem Dossier zur Hand. „Nach dem Tod von Franziska Silbermann, Ihrer leiblichen Mutter, wurden Sie von einer Pflegefamilie aufgenommen, der Familie Friedrich. Mag sein, dass auch eine Oma dazugehörte. Ich wollte aber eher etwas über Ihre leibliche Großmutter wissen. Also, versuchen Sie es doch bitte noch mal.“
Silbermanns Blick wurde stechend. Er begann auf den Backenzähnen zu kauen.
„Eine andere Großmutter habe ich aber nicht“, sagte er.
„Herr Silbermann.“ Manzetti stand auf und stellte sich hinter den Stuhl des Gastwirtes, was dem, wie den meisten Menschen, nicht angenehm war. „Wenn Sie so beharrlich auf Dummerchen machen, will ich Ihnen ein wenig helfen … Nehmen wir den Namen Gisela Goldberg.“
Silbermann seufzte, kaum hörbar, und drehte sich zu Manzetti um. „Okay, okay“, sagte er und leckte sich über die Lippen. Dann, als die Zunge wieder im Mund verschwunden war, bildeten sich ganz leichte Grübchen in seinen Wangen.
„Die Adresse.“ Manzetti verzog keine Miene.
„Da ist jetzt niemand.“
„Die Adresse.“ Manzetti wurde lauter.
„Irgendwo in Hamburg. Wenn Sie vom Bahnhof kommen, müssen Sie geradeaus und dann die zweite Querstraße …“
Die muskulöse Pranke Manzettis nahm Silbermann jede Luft. „Sehen Sie sich die Kante meines Schreibtisches an. Die Kratzer stammen von den Vorderzähnen solcher Komiker, wie Sie einer sind. Diese Herren haben ihn verunstaltet , als sie zu schnell aufgestanden sind. Man fällt so leicht hin heutzutage.“
Dann ließ er Silbermann wieder los, der sich schmerzerfüllt an die Kehle griff und pfeifend einatmete. Manzetti strich über das Revers seines Sakkos, ging um Silbermann herum und setzte sich in seinen Schreibtischsessel. Mit der linken Hand schob er das Telefon näher an den Gastwirt heran. „Rufen Sie Ihren Anwalt an. Sie werden ihn brauchen.“
Er schüttelte den Kopf, während er weiter seinen Hals rieb und nach unten sah.
„Haben Sie noch andere Hosen?“ Manzetti zog das Telefon jetzt zu sich heran.
„Was?“ Silbermanns Stimme klang noch leicht erstickt.
„Ob Sie noch andere Hosen haben?“
„Das geht Sie doch nun wirklich nichts an.“ Er sah ungläubig zu Manzetti. Der stemmte sich gerade aus seinem Sessel und baute sich vor dem Gastwirt auf.
„Ist ja schon gut. Na klar habe ich noch andere Hosen.“
„Ich habe Sie aber immer nur mit dieser gesehen.“ Manzetti deutete auf die blaue Jeans des Wirtes.
„Haben Sie denn keine Lieblingshose?“, versuchte Silbermann, ihn schon wieder zu provozieren.
„Die will ich haben“, sagte Manzetti und setzte sich wieder.
„Was?“ Silbermann griff sich Hilfe suchend an den Hosenbund. Offenbar traute er
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