Havelwasser (German Edition)
Zimmer, aus dem Becker ihn mit einem dreckig-triumphierenden Lächeln anschaute. Dann sah er, wie Weinrich mit dem Hacken die Tür zu Laras Zimmer zustieß, und augenblicklich war Manzetti von Dunkelheit umgeben. Doch dann sah er sich aus seiner Lethargie erwachen. Er sprang los, gleich einem angreifenden Tiger, einen Stuhl umreißend, durch die Essdiele seiner Wohnung, hin zu den Zimmern seiner Töchter.
„Ich muss sie beschützen“, nuschelte Manzetti ganz leise, aber mit geballten Fäusten.
Köppen schien ihn nicht zu hören und fuhr ihn wie verabredet zu seiner Wohnung.
„Papa, kommst du endlich?“, begrüßte ihn Lara ganz so, als hätte sie Jahre auf ihn warten müssen. Sie saß im Wohnzimmer vor dem Fernseher, lauschte den neuesten Hits bei Viva und machte dabei nicht den Eindruck, als hätte sie großes Interesse an den dazu ausgestrahlten Videos. Vielleicht kannte sie ja alle bereits zur Genüge.
Er drückte seine große Tochter und küsste sie auf die Stirn. „Wie geht es dir? Alles in Ordnung?“ In seinen Worten schwang Besorgnis mit.
„Ja, Papa“, antwortete Lara und legte das Buch zur Seite, in dem sie gerade gelesen hatte.
„Wo sind Mama und Paola?“, wollte er wissen, da ihm aufgefallen war, dass es in der Wohnung ungewöhnlich ruhig war.
„Pa braucht eine neue Hose.“ Das schien für seine Tochter schon Erklärung genug zu sein, denn sie fügte dem nichts mehr hinzu.
„Und da wolltest du nicht mit?“, wunderte er sich.
„Papa!“, protestierte Lara. „Ich kaufe mir meine Sachen alleine oder nur mit Mama. Das müsstest du aber wissen. Pa nervt doch nur.“
Da erinnerte er sich an die einhundert Euro und drückte sie Lara in die Hand. „Von Jochen. Du sollst dir etwas Schickes kaufen.“
„Danke“, sagte Lara und steckte den Geldschein gleich in eine Tasche ihrer Jeans.
Manzetti ging in die Küche und suchte nach einer offenen Flasche Wein. Seiner Meinung nach müsste irgendwo noch ein angefangener Barolo stehen. Da er ihn jedoch nirgends entdecken konnte, kehrte er ins Wohnzimmer zurück und nahm sich aus dem Weinregal eine noch geschlossene Flasche.
„Papa?“ Im Unterton ihrer Frage erkannte er sofort, dass sich eine schwerwiegende Bitte anschließen würde.
„Was brauchst du?“, fragte er deshalb.
„Warum denkt ihr Erwachsenen immer, dass wir etwas brauchen, wenn wir mal mit euch reden wollen?“ Lara legte all ihre Enttäuschung in den Satz, den Jugendliche formulieren, wenn sie ertappt werden.
„Nenn es Erfahrung, mein Schatz“, entgegnete Manzetti nüchtern. Mit einem leisen Plopp zog er den Korken aus der Flasche und goss sich ein großes Glas fast voll.
„Hast du Ärger?“, fragte Lara ehrlich besorgt und stellte sich neben ihren Vater, legte sogar den rechten Arm um seine Taille.
„Wie kommst du darauf?“
„Dein Glas. Es ist sehr voll, und es ist Rotwein.“
Manzetti trank und hielt dann das Glas gegen die Nachmittagssonne. Der Wein schimmerte tiefrot. „Kein Ärger. Nur das Verlangen nach einem guten Roten“, sagte er und strich seiner Tochter über die Haare.
„Darf ich dich etwas fragen?“ Lara stellte sich so hin, dass sie ihm hätte in die Augen blicken können. Sie hielt aber den Kopf etwas gesenkt.
„Das kannst du immer, Lara. Das weißt du doch.“
„Vorgestern hattest du aber nur Zeit für Pa. Für mich hat es dann nicht mehr gereicht.“
Manzetti erinnerte sich an den Abend, als er eigentlich mit beiden Töchtern reden wollte und lediglich eine Reihenfolge festgelegt hatte. Mit dem unguten Gefühl desjenigen, der wieder mal sein Versprechen nicht eingehalten hatte, wurde ihm bewusst, dass Lara dann leider keine Gelegenheit mehr zu einem Gespräch bekommen hatte, weil er weggerufen worden war.
„Entschuldige. Jetzt bin ich nur für dich da, versprochen. Leg los!“
„Du kennst doch die Jennifer?“
„Paola hat mir davon erzählt und auch von diesem Jungen, um den es geht.“
„Ach Papa. Die heißt Lisa.“ Lara schüttelte verständnislos den Kopf. „Außerdem interessiert mich dieses vorpubertäre Kindergeheul überhaupt nicht. Ich meine die Jennifer, die mit mir in der Reitmannschaft ist.“
Manzetti erinnerte sich dunkel, dass Lara mit diesem Mädchen in einer Mannschaft ritt, seitdem sie vor gut einem Jahr eine Altersstufe höher zu den Junioren aufgerückt war. Lara hatte wohl nicht nur Talent. Sie hatte auch mit viel Fleiß trainiert und sich diesen Erfolg verdient. Und er war damals sehr stolz auf sie
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