Havelwasser (German Edition)
halben Stunde. Ich freu mich.“
Manzetti steckte mit einem Grinsen und doch mit einer gewissen Vorfreude auf das Treffen das Handy wieder weg und bat Köppen, ihn zum Café Heider zu fahren. Bevor er aus dem Wagen stieg, erteilte er ihm noch den Auftrag, sich im Polizeipräsidium in irgendeinen Computer einzuloggen und dort alle Dateien nach Fred Weinrich und Martin Becker durchlaufen zu lassen. Anschließend, spätestens aber nach zwei Stunden, sollte er Manzetti wieder abholen.
Dann ging er durch die Tür des wohl bekanntesten Cafés in der Potsdamer Innenstadt und bekam wie jeder andere Gast einen herben Schlag auf die Lunge. Er sehnte augenblicklich italienische Verhältnisse herbei, die mittlerweile Raucher aus jedem Lokal verbannten. Aber Deutschland war nicht Italien, und hier musste alles gründlich durchdacht und immer wieder diskutiert werden, und das dauerte eben.
Er suchte einen Tisch am Fenster, mit Aussicht auf das Nauener Tor. Das Café war sehr voll, wie eigentlich an jedem Tag. Viele Mitarbeiter der verschiedensten Ministerien saßen hier, sicherlich in tiefsinnige Arbeitsgespräche vertieft, denn ansonsten müssten sie den Besuch als Freizeit buchen. Dazwischen hockten Studenten an den Tischen und daneben Künstler jedes Genres.
Beim vorbeihetzenden Kellner bestellte Manzetti einen offenen Rotwein und sah wieder auf den kleinen Platz, der zwischen dem Nauener Tor und dem Café lag, als ein Taxi unweit entfernt hielt. Ein Mann von graziler Gestalt entstieg dem Auto und warf in gekonnter Manier das eine Ende seines weißen Seidenschals über die Schulter, bezahlte mit einer weltweit gültigen Geste, die besagte, dass der Rest für den Taxifahrer sei, und ging dann mit dezentem, aber trotzdem unübersehbarem Hüftdreh in Richtung Café Heider.
Dieses Kunstwerk hieß Jochen Kern. Studierter Pädagoge und jetzt als Innenarchitekt tätig, noch dazu der angesagteste der Region. Zu seinen Kunden gehörten neben namhaften Fernsehmoderatoren auch Größen aus Politik und Wirtschaft. Jochen kam dabei zugute, dass Potsdam mehr und mehr Prominente aufnahm, die die Ruhe der kleineren Stadt mit all den Schlössern und Gärten suchten und trotzdem schnell in Berlin sein wollten.
Mit einem ausladenden Winken machte Jochen deutlich, dass er Manzetti längst gesehen hatte. Drinnen ließ das Winken an Intensität nicht nach, vielleicht nicht mehr mit so ausschweifender Amplitude, aber dafür etwas aufgeregter.
„Andrea, mein Lieber“, schrie Jochen und drückte ihm einen dicken Kuss auf die Wange, ohne dass Manzetti in der Lage gewesen wäre, diesen Überfall abzuwehren. „Ist das eine Aufregung“, fuhr er fort, ohne Luft zu holen und in der ihm eigenen Sprache, die auf zwei auffälligen Säulen stand: Die Stimme und die Bewegung der Hände hatten den gleichen Anteil an der Konversation.
„Wieso denn?“, fragte Manzetti.
„Ist sie wirklich nicht mitgekommen?“ Jochen drehte sich verstohlen um, versuchte, in jeder Ecke Kerstin zu entdecken.
„Sie ist wirklich nicht hier. Glaub mir doch“, bat Manzetti peinlich berührt.
„Ich traue ihr nicht“, sagte Jochen und fuchtelte wild mit den Händen neben seinem Gesicht.
„Harte Töne für die beste Freundin, oder?“ Manzetti mahnte ihn lieber sofort, sich zurückzuhalten, um zu verhindern, dass er sich zu sehr auf seine Frau einschoss.
„Beste Freundin … tss … ich weiß ja nicht. Beste Freundinnen tun sich das nicht an.“ Er ließ eine Hand durch sein langes Haar gleiten und warf dann den Kopf nach hinten.
„Sie hat dir nichts angetan, und außerdem konnte aus uns beiden nie etwas werden. Ich bin nicht schwul. Akzeptiere das doch endlich.“
„Niemand ist vollkommen, Andrea, Liebling“, entgegnete Jochen. Er legte beide Hände mit gespreizten Fingern auf seinen Brustkorb. „Bist du etwa gar nicht wegen mir hier?“
„Doch, sonst hätte ich dich wohl nicht angerufen.“
„Ich meine das anders. Es ist also kein Date?“
„Das wohl nicht. Aber ich freue mich trotzdem, dich zu sehen.“
„Na, wenigstens was“, sagte Jochen und drückte seine von einer dicken Schicht Pflegemittel überzogenen Lippen so schnell auf die Wange von Manzetti, dass der wieder keine Chance hatte, sich zur Wehr zu setzen.
Seit über zwanzig Jahren, seit jenem Tag, als seine beste Freundin Kerstin ihm die große Liebe vorgestellt hatte, lebte Jochen in jener Ambivalenz, die zwischen Freude über das Glück der beiden Jungverliebten und tosender Eifersucht
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