Havenhurst - Haus meiner Ahnen
wirklich, Mr. Thornton“, fügte er hinzu, während er alle Papiere zu einem wirren Stapel zusammenraffte.
Sein Arbeitgeber nahm das alles offenkundig überhaupt nicht zur Kenntnis, sondern fuhr fort, Briefe und Noten über den Schreibtisch zu reichen und dazu seine Anweisungen zu erteilen. „Die ersten drei ablehnen“, befahl er. „Das vierte Schreiben bestätigen, das fünfte abschlägig bescheiden. Zu diesem hier mein Beileid ausdrücken. Hierzu mitteilen, daß ich meine Einladung nach Schottland ausspreche, und nicht vergessen, eine genaue Wegbeschreibung beizufügen.“
Peters drückte sich das ganze Papier an die Brust und richtete sich auf den Knien auf. „Sehr wohl, Mr. Thornton“, sagte er so selbstsicher, wie es einem Menschen möglich war, der erstens vor seinem Herrn kniete und zweitens inzwischen nicht mehr die geringste Ahnung hatte, welche Anweisung wohl zu welchem Brief gehörte.
Den Abend verbrachte Ian bei dem Earl von Melbourne, seinem zukünftigen Schwiegervater, mit dem er den Verlobungsvertrag aushandelte, und Peters verbrachte den Abend zusammen mit dem Butler, um von diesem zu erfahren, welche Einladungen und Angebote sein Herr wahrscheinlich hatte akzeptieren beziehungsweise ablehnen wollen.
2. KAPITEL
Mit Hilfe ihres persönlichen Leibdieners, der gleichzeitig den Posten eines Reitknechts ausfüllen mußte, sprang Lady Elizabeth Cameron, Countess of Havenhurst, von ihrer schon etwas klapprigen Stute. „Vielen Dank, Charles.“ Sie lächelte dem alten Faktotum liebevoll zu.
Im Augenblick entsprach die junge Komtess nicht einmal entfernt dem Bild einer Adligen. Ein im Nacken geknotetes blaues Kopftuch bedeckte ihr Haar. Ihr Kleid war schlicht, schmucklos und nicht eben von der neuesten Mode, und über dem Arm trug sie den Henkelkorb, mit dem sie immer ihre Einkäufe im Dorf zu tätigen pflegte.
Trotz ihrer einfachen Kleidung, trotz des Korbs und trotz ihrer alten Mähre wirkte Elizabeth indessen keineswegs wie eine ganz gewöhnliche Frau. Das dichte goldblonde Haar fiel ihr unter dem kurzen Kopftuch hervor über die Schultern und den Rücken, und ihr Gesicht war von absolut ungewöhnlicher, makelloser Schönheit. Sie besaß helle, glatte Haut und volle, weiche Lippen. Unter den feingeschwungenen Brauen umrahmten lange dunkle Wimpern überaus lebhafte, ausdrucksstarke Augen von einem ganz erstaunlichen Grün, und diese Augen waren das Auffallendste an ihr.
Der Diener warf einen hoffnungsvollen Blick auf die Tüten im Einkaufskorb, doch Elizabeth schüttelte lächelnd den Kopf. „Küchlein sind nicht dabei, Charles. Sie waren viel zu teuer, und Mr. Jenkins ließ einfach nicht vernünftig mit sich reden. Ich sagte ihm, ich würde ein ganzes Dutzend kaufen, aber er wollte den Preis nicht um einen einzigen Penny heruntersetzen. Da habe ich eben aus Prinzip überhaupt keine gekauft.“
Sie lachte leise. „Stell dir vor, als Mr. Jenkins mich letzte Woche in seinen Laden kommen sah, da hat er sich doch tatsächlich hinter seinen Mehlsäcken versteckt!“
„Er ist ein Feigling“, erklärte Charles vergnügt grinsend. Die Händler und Ladenbesitzer wußten schließlich alle, daß Elizabeth Cameron jeden Schilling dreimal umdrehte, bevor sie ihn ausgab, und daß sie sich ausgezeichnet aufs Feilschen verstand, weil sie nicht nur hervorragend kopfrechnen, sondern auch noch überaus geschickt und einfallsreich zu argumentieren verstand.
Ihr Bestreben, Geld einzusparen, bezog sich nicht nur auf das Einkaufen im Dorf, sondern ebenso erfolgreich auch auf die Haushaltsführung auf Havenhurst, und ihre Methoden hatten durchaus Erfolg.
Mit ihren neunzehn Jahren trug Elizabeth die Last des Unterhalts ihres kleinen Ahnensitzes und der achtzehn von den ursprünglich neunzig Bediensteten auf ihren schmalen Schultern. Mit kaum nennenswerter finanzieller Unterstützung ihres widerwilligen Onkels gelang ihr das beinahe Unmögliche, nämlich Havenhurst vor der Versteigerung zu bewahren und das verbliebene Personal zu ernähren und zu kleiden.
Der einzige Luxus, den sie sich erlaubte, bestand in der Person der Miss Lucinda Throckmorton-Jones, die früher ihre Anstandsdame gewesen war und nun bei stark herabgesetzter Entlohnung als ihre Gesellschafterin fungierte. Selbstverständlich hätte Elizabeth auch allein auf Havenhurst leben können, aber dann wäre auch der allerletzte Rest ihres Rufs unwiderbringlich dahin gewesen.
Elizabeth übergab ihrem Diener den Henkelkorb und lief leichtfüßig die
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