Havenhurst - Haus meiner Ahnen
hatte noch mehr zu sagen, aber das fand ich denn doch kaum glaubwürdig.“
„Vergiß nicht, sie stand unter Laudanum.“
„Richtig.“ Der Vikar nickte finster. „Aber ich stehe nicht unter Laudanum, sondern unter dem Eindruck, als stündest du kurz vor deiner Verlobung mit einer jungen Frau namens Christina Taylor.“
„Das stimmt.“
„Was für eine Entschuldigung hast du dann für die Szene, deren Zeuge ich vor wenigen Minuten war?“ „Schwachsinn“, lautete Ians schroffe Antwort. War es nicht auch tatsächlich schwachsinnig, daß er jedesmal den Verstand verlor, wenn er Elizabeth Cameron küßte? Er wußte doch genau, was für eine Frau sie war. Vor zwei Jahren hatte sie den armen Mondevale bedenkenlos hintergangen, heute hatte sie von einer Hochzeit mit dem alten Belhaven oder John Marchman gesprochen, und nicht einmal eine Stunde später hatte sie sich heiß an ihn, Ian, geschmiegt und ihn aufreizend geküßt.
Trotz ihres Engelsgesichts war Elizabeth Cameron eben doch noch immer das, was sie stets gewesen war: ein verwöhntes, hohlköpfiges Mädchen, eine geschickte Verführerin mit mehr Wollust als Verstand.
Mit einem Glas Scotch Whisky in der Hand und den funkelnden Sternen am tintendunklen Himmel über sich, schaute Ian später dem Fisch zu, der über dem lustig brennenden Feuer briet. Die Stille der Nacht und der Whisky hatten ihn, Ian, ein wenig besänftigt. Er bedauerte nur, daß Elizabeths Eintreffen ihn des dringend benötigten Friedens und der innerlichen Ruhe beraubte, deretwegen er diesen Ort hier immer aufsuchte.
Fast ein ganzes Jahr lang hatte er mörderisch hart gearbeitet, und er hatte damit gerechnet, hier wieder zu sich selbst zu finden, wie das früher immer der Fall gewesen war. Schon in seiner Jugend hatte er erkannt, daß er diesen Ort verlassen und seinen Stand in der Welt erobern würde, und das war ihm auch gelungen. Dennoch kehrte er immer wieder zu diesem Haus zurück, um hier nach etwas zu suchen, das er bis jetzt noch nicht gefunden hatte, irgend etwas, das ihn von seiner Ruhelosigkeit befreien würde.
Er führte jetzt ein Leben, das auf Einfluß und Reichtum aufgebaut war, eines, das ihm im großen und ganzen durchaus genehm war. Er war zu weit in der Welt herumgekommen, hatte zu viel gesehen und sich selbst zu sehr verändert, um jetzt den Versuch zu machen, ständig hier zu leben. Damit hatte er sich abgefunden, als er sich entschlossen hatte, Christina zu heiraten. Sie würde nie hier in diesem Haus leben können; dafür jedoch würde sie die glanzvolle Herrin über alle seine anderen Wohnsitze sein.
Christina war schön, gebildet und leidenschaftlich. Sie paßte perfekt zu ihm, denn sonst hätte er auch gar nicht um sie angehalten. Bevor er das getan hatte, hatte er dieses Vorhaben mit jener Mischung aus leidenschaftsloser Logik und untrüglichem Instinkt durchdacht, die auch allen seinen geschäftlichen Entscheidungen zugrunde lag. Er hatte die Erfolgsaussichten berechnet, dann seine Entscheidung rasch getroffen und anschließend ohne Vorbehalte und ohne Zaudern gehandelt.
Das einzige Unüberlegte, Übereilte, was er in den letzten Jahren getan hatte, das war sein Verhalten an jenem Wochenende gewesen, an dem er Elizabeth Cameron kennengelernt hatte.
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„Es ist im höchsten Maße ungerecht von Ihnen“, sagte Elizabeth lächelnd nach dem Abendessen, „mich das Frühstück zubereiten zu lassen, wenn Sie doch so ein hervorragender Küchenmeister sind.“ Der von Ian gebackene Fisch war ein köstliches Mahl gewesen.
„So hervorragend nun auch wieder nicht“, wehrte Ian ab. Er trug zwei Brandygläser zum Kamin, reichte eines davon Duncan und setzte sich dann. „Das einzige, was ich zubereiten kann, ist Fisch, und zwar nur auf die Art, die Sie heute kennengelernt haben.“
Er öffnete ein Kistchen und entnahm ihm einen der schlanken Zigarillos, die in London extra für ihn hergestellt wurden. Dann blickte er Elizabeth an und fragte ganz automatisch: „Stört es Sie?“
Sie mußte an die zwei Jahre zurückliegende Begebenheit im Garten denken, die ihr in allen Einzelheiten noch klar vor Augen stand. Damals hatte sich Ian auch einen Zigarillo anzünden wollen und ihr dieselbe höfliche Frage gestellt. Die Erinnerung daran zauberte ein strahlendes Lächeln auf ihre Lippen. Dachte er jetzt auch an dieses allererste Zusammentreffen zurück?
Er blickte sie fragend an, deutete dann auf seinen Zigarillo und schaute ihr wieder ins Gesicht. Nein. Er erinnerte
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