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Havenhurst - Haus meiner Ahnen

Titel: Havenhurst - Haus meiner Ahnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith McNaught
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sich nicht; das sah sie ihm an.
    „Es stört mich durchaus nicht“, antwortete sie und versteckte ihre Enttäuschung hinter einem Lächeln.
    Der Vikar hatte die kleine Szene verfolgt und Elizabeths etwas zu strahlendes Lächeln gesehen. Er fand das Ganze ebenso eigenartig wie das Verhalten seines Neffen der jungen Dame gegenüber während des Essens. Noch zwei Stunden zuvor hatte Ian sie umarmt, als wollte er sie nie wieder loslassen, und jetzt nahm er sie so gut wie überhaupt nicht mehr zur Kenntnis. Im Augenblick zum Beispiel hielt er ein Buch in der Hand und las, als gäbe es sie gar nicht.
    Elizabeth nahm ein Handtuch vom Haken und trocknete das abgewaschene Geschirr ab. Nachdem das erledigt und alles ordentlich fortgeräumt war, beschloß sie, sich auf ihr Zimmer zurückzuziehen. Den Gesprächen während des Abendessens hatte sie entnommen, daß Ian seinen Onkel lange nicht mehr gesehen hatte, und so fand sie es nur höflich, die beiden Männer allein zu lassen, damit sie privat miteinander reden konnten.
    Duncan trank seinen Brandy und schaute Ian beim Lesen zu. Das erinnerte ihn an die Unterrichtsstunden, die er seinem Neffen erteilt hatte, als dieser noch ein kleiner Junge gewesen war. Wie Ians Vater, so war auch Duncan ein intelligenter, auf der Universität ausgebildeter Mann, doch Ian selbst hatte bereits im Alter von dreizehn Jahren alle vorhandenen Lehrbücher studiert, ohne daß davon sein Wissensdurst gestillt gewesen wäre. Sein mathematisches Talent erwies sich als geradezu verblüffend.
    Seine persönlichen Fähigkeiten, die gelassene Arroganz seiner adligen britischen Vorväter und das hitzige Temperament sowie der unbeugsame Stolz seiner schottischen Ahnen ließen aus ihm einen Mann werden, der seine Entscheidungen selbst traf und sich von niemandem in einmal gefaßte Entschlüsse hineinreden ließ.
    Duncans Meinung nach war Ians Urteilsvermögen nur in einem einzigen Punkt getrübt, und zwar dann, wenn von seinem englischen Großvater die Rede war. Allein die Erwähnung des Namens des Duke of Stanhope erregte seinen Zorn.
    Duncan wußte, daß sein Neffe die erschreckende Fähigkeit besaß, einem Menschen ein für allemal den Rücken zu kehren, wenn dieser Mensch in einer Sache zu weit gegangen war oder ihn zu tief verletzt hatte.
    Der Vikar mußte an eine Begebenheit denken, die die Unbeugsamkeit seines Neffen deutlich zeigte.
    Im Alter von neunzehn Jahren war Ian von seiner ersten Seereise zurückgekehrt. Seine Eltern und seine Schwester waren in ihrer großen Wiedersehensvorfreude zum Hafen Hernloch gereist, um dort seine Ankunft zu erwarten.
    Zwei Nächte vor Eintreffen seines Schiffes brannte der kleine Gasthof, in dem die Familie abgestiegen war, bis auf die Grundmauern nieder, und alle kamen in den Flammen um. Auf seinem Heimritt war Ian an den Trümmern vorbeigekommen, hatte aber natürlich nicht ahnen können, daß dies das Grab seiner Eltern und seiner Schwester war.
    Duncan erwartete ihn daheim, um ihm die schreckliche Nachricht zu übermitteln.
    „Wo sind denn die anderen?“ erkundigte sich Ian fröhlich, weil seine begeistert bellende Labradorhündin die einzige war, die ihn begrüßte. Die Hündin war als winziger Welpe ins Haus gekommen und Ian seitdem nicht mehr von den Fersen gewichen. Deshalb und wegen ihres schwarzglänzenden Fells hatte sie den Namen Shadow — Schatten — erhalten. Mensch und Tier liebten einander nahezu abgöttisch.
    So schonend wie möglich überbrachte Duncan seinem Neffen die traurige Botschaft. Ian weinte nicht und wütete auch nicht gegen das Schicksal, sondern sein Gesicht, ja sein ganzer Körper schien zu Eis zu erstarren.
    Als Duncan an diesem Abend gehen wollte, stand Ian stumm am Fenster und starrte in die Dunkelheit hinaus.
    Seine treue Hündin saß neben ihm. „Nimm sie ins Dorf mit und gib sie irgendjemandem“, sagte er mit einer Stimme, die aus dem Grab zu kommen schien.
    Duncan verstand zuerst nicht recht. „Was soll ich mitnehmen?“
    „Shadow.“
    „Aber du sagtest doch, du wolltest mindestens ein halbes Jahr hierbleiben und ...“
    „Nimm sie mit!“ befahl Ian. „Bring sie zu den MacMurtys in Calgorin.“ Duncan blieb nichts anderes übrig, als der sich heftig sträubenden Hündin ein Seil um den Hals zu binden und sie fortzuzerren.
    Eine Woche später hatte die unerschrockene Shadow den weiten Rückweg durchs halbe Land gefunden und erschien wieder vor Ians Haus. Duncan, der zufällig anwesend war, konnte kaum mit ansehen, wie

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