Havoc - Verwüstung - Thriller
eine frische Zigarette an und ordnete seine Gedanken. »Jedes Mal, wenn in deinem Leben irgendetwas schiefläuft, vollziehst du einen Akt der Selbstkasteiung. Du bestrafst dich, ganz gleich ob es nun deine Schuld war oder nicht. Die meisten Menschen übernehmen noch nicht einmal die Verantwortung für Fehler, die sie selbst begangen haben, doch du fühlst dich einfach wegen allem schuldig, was in deiner Umgebung schiefläuft. Das ist kein Charakterfehler, oder vielleicht ist es zwar einer, aber kein schlimmer, außer dass es dich immer ein wenig mehr Mühe kostet, dein inneres Gleichgewicht zu finden und zu verarbeiten, was auch immer geschehen sein mag. Es ist jetzt ein halbes Jahr her, seit du Tisa verloren hast, aber du hast es auch nicht andeutungsweise geschafft, dich mit ihrem Tod abzufinden.«
In Mercer loderte Zorn auf. »Ich will sie auch gar nicht vergessen!«
»Nicht sie, du Holzkopf, ich meine ihren Tod. Du hast ihren Tod nicht verarbeitet. Es gibt da einen wesentlichen Unterschied, und vielleicht ist genau dies der Punkt, wo du festhängst.«
»Wie meinst du das?«
»Ich wette, dass du ihren Tod jeden Tag aufs Neue durchlebst, aber du erinnerst dich nicht an ihr Leben.« Mercer widersprach nicht, daher fuhr Harry fort. »Du hast sie zu einem Symbol für irgendein eingebildetes Versagen gemacht, zu einer Erinnerung, bei der du alle Schuld abladen kannst, die du mit dir herumschleppst. Dabei versäumst du es, die Zeit, die du mit ihr zusammen warst, so kurz sie auch gewesen sein
mag, angemessen zu würdigen. Und das ist nicht fair. Ihr gegenüber, meine ich.«
Mercer war über Harrys Feststellung erschüttert. Schlagartig wurde ihm klar, dass sie zutraf. Die Erinnerung an Tisa war eine Wunde, die er immer wieder aufs Neue aufriss, um sich in dem Schuldgefühl zu ergehen, von dem er sicher war, dass er es verdient hatte. Das hatte wirklich nichts mit Trauer zu tun. Es war eine Selbstkasteiung und nicht normal. Ständig dachte er nur an ihren Tod und reduzierte ganz bewusst ihr ganzes Leben auf einen einzigen tragischen Augenblick, für dessen Stattfinden er sich die Schuld geben konnte.
»Und wie soll ich mein Leben neu ordnen?«
Harry lehnte sich auf seinem Hocker zurück und blies Rauch aus den Nasenlöchern. »Woher soll ich das wissen? Es ist dein Leben. Verabrede dich mit dieser Cali. Oder mach eine Woche Urlaub und sieh dir ein paar schöne Frauen an.«
Mercer war seit Jahren nicht mehr ans Meer gefahren und konnte sich kaum vorstellen, an einem Strand zu liegen und Bikinischönheiten zu beobachten. Ebenso wenig weckte die Aussicht auf ein Rendezvous mit Cali sein Interesse, zumindest nicht, bis er herausgefunden hätte, wer sie war und für wen sie wirklich arbeitete. Dieser Gedanke erinnerte ihn daran, dass er sich bei Admiral Lasko melden musste. Er wählte die Nummer von Iras Mobiltelefon und ignorierte das rote Lämpchen, das anzeigte, dass die Batterien des schnurlosen Apparates fast leer waren.
»Dass du schon so frühzeitig wieder zurückgekommen bist, scheint mir kein gutes Zeichen zu sein«, sagte Lasko anstelle einer Begrüßung, nachdem er die Anrufer-Identifikation gelesen hatte. Ira Lasko war ein ehemaliger U-Boot-Fahrer, der zum Geheimdienst der Marine gewechselt war. John Kleinschmidt, der Sicherheitsberater des Präsidenten, hatte ihn
kurz nach seinem Ausscheiden aus der Navy überredet, für das Weiße Haus zu arbeiten. Lasko hatte einen ausgeprägten Sinn für Strategie und Taktik und konnte zwischen beiden intuitiv eine Verbindung herstellen. Er war nicht sehr groß und hatte eine eher unscheinbare Figur, machte dies jedoch durch eine energische Stimme, seine unerschöpfliche Energie und eine kämpferische Entschlossenheit, die ihre optische Unterstützung in seinem kahlrasierten Schädel fand, mehr als wett.
»Nein und nein«, erwiderte Mercer. »Nein, ich habe kein Coltan gefunden. Ich werde morgen Burke bei den UN anrufen und ihm im Laufe der Woche einen formellen Bericht schicken. Und das zweite Nein besagt, dass ich auf etwas gestoßen bin, das einigen Anlass zur Sorge in sich birgt.«
»Sollen wir uns treffen?«
»Ich denke schon, das wäre nötig. Es gibt da einige Dinge, die genauestens untersucht werden müssen.«
»Ich habe bis acht Uhr im Büro zu tun. Danach erwarte ich dich in diesem Thai-Restaurant in der Nähe der Pentagon City Mall.«
»Um halb neun bei Loong Chat’s. Verstanden.« Nach all dem Mist, von dem sich Mercer während der letzten Wochen
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