Hawaii
Alles was ich wußte, war, daß wir diesmal in
besonderer Gefahr schweben.«
»Weil du, der Bruder des Königs, noch immer Tane verehrst.«
»Nur in meinem Herzen tue ich das.«
»Aber wenn ich in deinem Herzen lesen kann«, meinte Malama, »können es die Priester erst recht.«
Teroros Erwiderung kam ein atemloser Bote zuvor, der um den Arm einen gelben Federkranz trug zum Zeichen, daß er dem König diente. »Wir haben nach dir gesucht«, rief er Teroro zu.
»Ich habe das Kanu betrachtet«, sagte der junge Häuptling unwirsch.
»Der König verlangt nach dir.«
Teroro stand auf, stampfte mit den Füßen auf, um das Wasser abzuschütteln, und nickte seiner Frau ein unpersönliches Lebewohl zu. Er folgte dem Boten und meldete sich im Palast. Es war ein weiter, niedriger Bau, dessen Dach von polierten Säulen aus Kokosstämmen getragen wurde, in welche Götterfiguren geschnitzt waren. Das Dach bestand aus geflochtenen Palmwedeln, und es gab weder Fußböden noch Fenster noch Seitenwände, sondern lediglich aufgerollte Matten, die nur herabgelassen wurden, wenn die Heimlichkeit es verlangte, oder wenn man sich gegen Regen schützen mußte. Der Hauptraum enthielt viel königlichen Schmuck: federgeschmückte Götterbilder, geschnitzte Haifischzähne, riesige Muscheln aus dem Süden. Der Bau hatte zwei Vorzüge: er überblickte die Lagune und das Riff, an dem der Gischt der Brandung hoch aufspritzte; und außerdem wurden all seine Teile durch goldbraunen Platting zusammengehalten, dieses wunderbare Tauwerk, das man auf den Inseln aus der Faser der Kokosnußschale gewann. Fast zwei Meilen solchen Tauwerks waren bei der Errichtung des Baus verwandt worden. Dort, wo zwei Balken zusammentrafen, wurden sie durch Stricke verbunden. Ein Mann, der unter einem Dach saß, das mit solchen Seilen zusammengehalten wurde, konnte sich stundenlang an ihrem verzwickten Muster weiden, so wie ein Seemann die Sterne betrachtet, oder ein Kind unermüdlich dem Spiel der Wellen an der Küste folgt. Unter dem vertäuten Dach saß König Tamatoa mit verstörtem Gesicht. »Warum ist eine Versammlung einberufen worden?« fragte er herrisch. Und als fürchte er sich vor der Antwort, entließ er rasch alle Umstehenden, unter denen sich ein Spion befinden konnte. Dann rückte er näher auf der Matte, die den Fußboden bildete, und stemmte seine Hände auf die Knie. »Was hat das alles zu bedeuten?« fragte er.
Teroro, der selbst die Dinge nicht so schnell durchschaute, machte sich kein Gewissen daraus, die Erklärung seiner Frau wie eine eigene Einsicht wiederzugeben, und begann: »Es sieht so aus, als ob sich unser Hohepriester um den Tempel in Havaiki bewerben wollte, und als wolle er, um sich hervorzutun, etwas Dramatisches unternehmen.« Er verharrte in düsteren Gedanken.
»Was zum Beispiel?« fragte der König.
»Die letzten Anzeichen des Tane-Kultes aus Bora Bora tilgen. Oder dich opfern - als Höhepunkt der Versammlung.«
»Eben einen solchen Plan habe ich befürchtet«, gestand Tamatoa. »Wenn er wartet, bis wir in der Versammlung sind, kann er plötzlich auf mich deuten, so wie sie damals auf unseren Vater deuteten, und...« Der beunruhigte König führte die Bewegung einer geschwungenen Keule über dem Kopf seines Bruders aus und fügte schmerzlich hinzu: »Und mein Mord ist geheiligt, weil Oro ihn anbefohlen hat.«
»Eher der Hohepriester«, verbesserte Teroro.
Tamatoa zögerte, als wollte er seinen Bruder auf die Probe stellen, und fügte dann gereizt hinzu: »Und mein Tod wird ungesühnt bleiben.« Selbstmitleid war Tamatoa, dessen Mut und kluges Führertum das kleine Bora Bora vor den Überfällen der größeren Nachbarn bewahrt hatte, so fremd, daß Teroro seinen
Bruder in Verdacht hatte, er wolle ihm eine Falle stellen. Deshalb schwieg er über seine eigenen Pläne für die Versammlung und bemerkte nur gelangweilt: »Das Kanu wird mittags zu Wasser gelassen werden.«
»Wird es bei Sonnenuntergang bereit sein?« fragte der König. »Ja. Aber ich hoffe, daß du nicht mitkommst.«
»Ich bin entschlossen, zu dieser Versammlung zu gehen«, antwortete Tamatoa.
»Für dich kann nur Unheil daraus entstehen«, beharrte Teroro. Der König erhob sich von seiner Matte und schritt mißmutig zum Eingang des Palastes, von wo aus er die majestätischen Klippen von Bora Bora überblicken konnte. »Auf dieser Insel«, sagte er mit bewegter Stimme, »wuchs ich in Freuden heran. Im Schatten dieser Klippen wandelte ich dahin, und diese
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