Hawaii
ein. Teroro, der sein eigenes, mit Götterbildern beschnitztes Paddel ergriff, gab dem Kanu einen festen Stoß, der es weit in die Lagune hinaustrieb, während er auf dem Heck saß und seine Beine ins Wasser hängen ließ. »Setzt das Segel!« rief er. »Wir wollen den Wind prüfen.« Und als der mittägliche Wind von den Klippen herabfiel, fing er sich in dem Segel und begann das große doppelrümpfige Kanu voranzutreiben. Die Männer griffen zu ihren Paddeln, und bald schwang sich WARTET-AUF-DEN-WESTWIND mit großer Geschwindigkeit über die heimatliche Lagune.
Wie ein Albatros flog es dahin und berührte kaum die Wellen; wie das Blatt des Brotfruchtbaumes, das der Wind mit sich trägt, glitt es über das Wasser; in seinem Lauf glich es der jungen Frau, die ihrem Liebhaber entgegeneilt, war es das Sinnbild des Gottes Ta'aroa, der majestätisch die Bastionen seines Ozeans überblickt; es eilte dahin wie der Geist des Kriegers, der auf dem Schlachtfeld sein Leben ließ und in die ewigen Hallen seines Gottes Tane eingeht. Es brauste über die Lagune, das geheimnisvolle, schlanke, doppelrümpfige Schiff Bora Boras, das schnellste Schiff, das die Welt bis dahin kannte, das eine Spitzengeschwindigkeit von dreißig Knoten erreichte und das oft tagelang, Stunde um Stunde seine zehn Knoten fuhr. Das mächtige Schiff war vierundzwanzig Meter lang und sein hochgezogenes Heck ragte sechs Meter empor. Über den beiden Schiffsrümpfen lag eine feste Plattform, auf der vierzig Männer oder die Statuen von vierzig Göttern Platz hatten, und unter ihr konnten Nahrungsmittel, Schweine und Wasser sicher verstaut werden.
»Wartet auf den Westwind«, hatten die Männer geraten, die das Kanu gebaut hatten, »denn er bläst mächtig und unfehlbar aus dem Herzen des Orkans.« Auf den Nordwind ist kein Verlaß, und der Ostwind ist nichts wert, denn er bläst beständig, und der Südwind bringt nichts als kleine, störende Stürme, nicht die großen, die die Erde erschüttern, nicht die Stürme, die wochenlang brausen und die ein Kanu bis an die fernsten Enden der Welt zu tragen vermögen. Wartet auf den Westwind! Er kommt aus dem Herzen der Orkane. Er allein ist dem großen Kanu ebenbürtig.
An diesem Tag wehte nur der gewöhnliche Ostwind. Mancher Seemann in anderen Teilen der Erde hätte ihn eine beträchtliche Brise genannt, aber für die Bewohner von Bora Bora, die sich nach den westlichen Böen sehnten, mit denen sie bis nach Nuku Hiva fahren konnten, bedeutete dieser Tagwind nichts. Dennoch trug er die Spur einer Verheißung, und so folgte Teroro der Eingebung des Augenblicks und rief: »Durch das Riff!«
WARTET-AUF-DEN-WESTWIND fuhr schon mehr als fünfzehn Knoten. Ein umsichtiger Seemann hätte sein Boot nur in sehr langsamer Fahrt durch das gefahrenvolle Riff gelenkt; aber an diesem sonnenübergossenen Tag ließ Teroro sein kostbares Schiff in voller Geschwindigkeit auf die schmale Öffnung in der Trennungslinie zwischen den freundlichen grünen Wassern der Lagune und den donnernden blauen Wogen des Ozeans draußen zuschießen.
Das Kanu schien den bevorstehenden Zusammenprall mit den riesigen Wellen zu ahnen, denn es begann unter dem Druck des Windes zu vibrieren, schnitt tiefer in die Lagune und warf sich in den Durchgang zwischen den Riffen. Einen Augenblick lang konnte die Mannschaft die gierigen Finger der grauen Korallen sehen, die nach dem kecken Schiff griffen. Aber die Gefahr war rasch vergessen, denn vor ihnen ragten die mächtigen Wogen auf. Mit singendem Segel und einer Kraft, die der der jungen Häuptlinge entsprach, raste das Kanu in die Wellentäler hinein, grub seinen Bug tief in die graublaue Welle, erhob sich triumphierend wieder auf den Kamm und eilte weiter gerade in das Herz des Windes und in die brausenden Wogen der See Ta'aroas hinein.
»Welch ein Kanu!« jubelte Teroro, und der Gischt peitschte ihm über Gesicht und schwarzes Haar.
Mit besonderer Freude genossen die dreißig Ruderer die letzten Augenblicke der Freiheit, die ihnen Teroro verschafft hatte, denn jeder wußte, daß die Fahrt, zu der sie in der Abenddämmerung aufbrechen sollten, anders verlaufen würde: feierlich, freudlos und unter der ständigen Drohung des Todes. Sie hatten den Altar vor Augen, auf dem das Blut fließen würde. Sie mußten an die furchtbaren Opferkeulen denken. Aber schlimmer noch: jeder von ihnen wußte, daß, wenn WARTET-AUF-DEN-WESTWIND im Morgengrauen Havaikis Strand erreichte, einer aus der heutigen Mannschaft
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