Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hawaii

Hawaii

Titel: Hawaii Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Michener
Vom Netzwerk:
zum Ausgang des Palastes. Dort spähten sie mit demselben Entzücken in die sternenklare Nacht hinaus wie früher als Kinder. Entlang des Wassers hatten sich in dieser mitternächtlichen Stunde die Bürger Bora Boras ohne König oder Priester mit Trommeln und Nasenflöten versammelt, um eine Nacht der zügellosesten Freude zu beginnen. Die Beklemmung, die die Versammlung in Havaiki mit sich gebracht hatte, war von ihnen gewichen, und kindliche Ausgelassenheit nahm ihre Stelle ein. Deshalb eilten Tamatoa, Tupuna und Teroro, wie gewöhnliche Leute gekleidet, an den Strand hinunter. Eine heisere alte Frau schrie ihnen entgegen: »Ich will euch zeigen, wie unser großer Steuermann Hiro sein Kanu lenkt!« Und mit vollendeter Mimikri wurde aus dem alten zahnlosen Weib eine hämische Karikatur des jungen Hiro, der sein Kanu steuert. In vielen Bewegungen traf sie genau sein Gehaben: die Art, wie er über die See hinausblickte, und wie er sich herausstrich. Aber womit er steuerte, war nicht eine Ruderspinne, sondern ein Phallus, und das Kanu wurde von einer anderen alten Frau dargestellt. Als die Szene vorüber war, schrie die Frau: »Er ist schon sehr patent, unser Hiro!«
    Die Menge brüllte, besonders als sie sah, daß Teroro der zotigen Nachahmung seines Steuermanns Beifall klatschte. »Ich wette, sie könnte ein richtiges Kanu steuern!« rief er.
    »Du würdest staunen, was ich alles kann!« erwiderte die schlüpfrige Alte. Aber die Menge ließ sie mit ihren Possen zurück und applaudierte dem stämmigen Mato von der anderen Seite der Insel, der sich plötzlich einen gelben Tapa-Fetzen um die Schulter hing und den dicken Tatai von Havaiki spielte. Er vollführte lächerliche Schritte zu der Musik und äffte damit das pomphafte Auftreten des Häuptlings nach. Zur großen Freude der Umstehenden sprang König Tamatoa geschmeidig in die rauchige Arena und stellte sich neben Mato, und nun machten sie beide Tatai nach, jeder verrückter als der andere, bis man schließlich kaum noch unterscheiden konnte, wer Mato und wer der König war. Der verrückte kleine Tanz endete damit, daß Tamatoa sich erschöpft in den Staub warf und herzhaft lachte, als hätte er keine Sorgen.
    Wieder wandte sich die Menge einem anderen Spaßmacher zu. Pa mit dem Haifischgesicht hatte einen Blätterrock ergriffen und schrie mit hoher schriller Stimme: »Nennt mich Tehani!« Er drehte sich in grotesken, aber ungeheuer gewandten Bewegungen und stellte damit das Havaiki-Mädchen dar. Teroro fragte sich: »Wie konnte er sie nur beim Tanz beobachten?« Aber seine Überlegungen wurden unterbrochen, als er sah, wie seine eigne Frau, Malama, mit in die Arena sprang und in einer Burleske ihren Mann nachahmte. »Es ist Teroro!« rief die Menge jubelnd, während die geschickte Frau behutsam und mit Liebe, aber auch mit scharfer Beobachtung ihren Mann lächerlich machte. Teroro fragte sich abermals: »Wer hat ihr etwas von Tehani erzählt?«
    Pa und Malama waren die Sensation dieser Nacht. Der Mann mit dem Haifischgesicht war so häßlich und seine Züge so lächerlich, daß er damit das Gesicht eines jeden anderen nachahmen konnte. Er konnte sanft sein wie in seiner Darstellung Tehanis, als auch wild wie in seiner nächsten Burleske, in der er den Hohepriester zeigte. Mit einem Stück schwarzem Tapa als Perücke und einem Brotfruchtzweig als Stab drehte sich Pa wie ein Wahnsinniger, wirbelte durch die Luft und deutete mit seinem Stab bald auf diesen Insulaner, bald auf jenen. Währenddessen spielte Malama, die hinter ihm tanzte und einen Federsack schwang, den rohen Henker und streckte ein Opfer nach dem anderen nieder. Schließlich schwang sich Pa in gespieltem Irrsinn herum, tanzte auf König Tamatoa zu und deutete mit seinem Stab direkt auf ihn. Malama eilte herbei, schwang ihren Sack und ließ ihn bis knapp über Tamatoas Haupt niedersausen. Das Opfer brach zusammen, als wäre sein Schädel zerspalten worden, und blieb unbändig lachend im Sand liegen.
    Während das Fest seinen Fortgang nahm, wurde das Leben der Inselbewohner Punkt um Punkt ins Lächerliche gezogen. Und der kinnlose Pa war der Anführer des Tanzes. Er besaß das, was die Insulaner liebten: Den kindlichen Sinn für Märchen, und ihm zuzusehen, wie er mit seinem spitzen Gesicht alle Welt darstellte, bereitete endlose Freude. Kurz vor der Dämmerung, als die Seelenlast der letzten Wochen gänzlich gewichen war, wandte sich eine Gruppe älterer Frauen an König Tamatoa und erflehte von ihm

Weitere Kostenlose Bücher