Hawaii
Tamatoa fühlte einen Stich in seinem Herzen und fragte: »Welche Göttin?« Er wußte, daß eine Göttin, wenn sie sich beleidigt fühlte, keine Hemmung in ihrer Rache kannte. Ihre Macht war grenzenlos. »Es ist die Stimme Peles, der alten Göttin Bora Boras«, antwortete das alte Weib. »Sag, Neffe, als deine Wandelsterne den Himmel durchsuchten, waren sie da nicht von Flammenpunkten umgeben?« Der König versuchte, sich den verhängnisvollen Traum zurückzurufen, und es gelang ihm, sich mit großer Klarheit daran zu erinnern. Er mußte ihr zustimmen: »Es waren Flammenpunkte da. Unter den
nördlichen Sternen.« Sie riefen Tupuna und erzählten ihm den schweren Traum seiner Frau. Er bekannte, daß es die Göttin Pele gewesen sein mußte, die mit auf diese Reise kommen wollte, woraufhin sein Neffe fragte: »Aber wer ist Pele?«
»In Bora Boras frühesten Tagen«, erklärte der alte Mann, während die dünne Sichel des abnehmenden Mondes im Osten aufging, »hatte unsere Insel Berge, die rauchten, und Pele war die Göttin der Flamme, die unser Leben bestimmte. Aber die Flamme erlosch. Wir nahmen an, Pele habe uns verlassen und verehrten nicht mehr den roten Stein, der im Tempel stand.«
»Ich habe Pele vergessen«, gestand Teura. »Sonst hätte ich ihre Stimme erkannt. Aber heute nacht, nachdem ich den rauchenden Berg gesehen hatte, da erinnerte ich mich.«
»Und sie ist böse auf uns?« fragte der König.
»Ja«, sagte Teura. »Aber Tane und Ta'aroa sind mit uns, und sie werden uns beschützen.«
Die beiden alten Seher gingen an ihre Plätze zurück, und der König stand allein im Schatten seines neuen Landes, das jetzt in dem dunstigen Mondlicht kaum zu sehen war. Es bedrückte ihn, daß ein Mann trotz aller Mühe, die er sich gab, um die Götter zu befriedigen, dennoch etwas versäumen konnte. Er beobachtete die Zeichen, beugte seinen Willen vor ihnen, lebte ganz nach der Weisung der Götter. Aber immer drängte sich etwas Unvorhergesehenes ein: eine alte Frau erkannte nicht die Stimme einer Göttin, und Unheil ereilte das ganze Unternehmen. Er kannte den Stein Peles. Er war im Tempel bewahrt worden, ohne daß jemand wußte, warum. Denn sein Name und seine Eigenschaften waren vergessen, und er wurde nicht einmal mehr mit Federn geschmückt. Es wäre so einfach gewesen, den Stein mitzunehmen, aber die Tatsachen hatten sich seiner Kenntnis entzogen, und jetzt war er auf die Gnade einer rachsüchtigen Göttin angewiesen, die sich um so mehr beleidigt fühlen mußte, da sie sich die Mühe genommen hatte, ihn zu warnen. Er schlug mit den Fäusten gegen die Stangen des Grashauses und stöhnte: »Warum können wir nie etwas recht machen?«
Wenn der König über die Ankunft auf der neuen Insel beunruhigt war, so gab es andere Mitreisende auf dem Kanu, die sich davor fürchteten. Im hinteren Ende des linken Rumpfes kauerten sich die Sklaven flüsternd zusammen. Die vier Männer sagten zu den Frauen, daß sie sie geliebt hatten und daß sie hofften, sie seien schwanger und würden Kinder zur Welt bringen, auch wenn diese Kinder wieder Sklaven sein müßten. Sie erinnerten sich an die wenigen guten Tage, die sie auf Bora Bora verlebt hatten, jene denkwürdigen Tage, da sie auf ein verlaufenes Schwein aus der Herde des Königs gestoßen waren und es heimlich aufgegessen hatten. Hätte man es bemerkt, so wäre der sofortige Tod die Folge gewesen. Oder sie gedachten jener anderen Tage, da die hohe n Herrschaften der Insel abwesend waren und sie einmal frei atmen konnten. In der schwindenden Nacht vor dem Tag, der große Schrecken bringen sollte, flüsterten sie von Liebe, von Zuneigung und von verlorenen Hoffnungen. Die vier Männer wußten, daß im Augenblick, da das Kanu an Land kam, ein Tempel errichtet würde, und wenn die vier Löcher für die Eckpfeiler gegraben waren, dann würde in jedem Loch einer von ihnen lebendig begraben werden, damit sein Geist für immer den Tempel aufrecht hielte. Die dem Tod verfallenen Männer spürten schon den Geruch der Erde in ihrer Nase und die Last des heiligen Pfahls auf ihrem Leib. Sie kannten den Tod.
Ihre beiden Frauen, die später umkommen würden, empfanden noch größere Qualen, denn sie hatten diese vier Männer geliebt. Sie wußten, wie sanft sie waren, wie freundlich zu den Kindern und wie empfänglich für die Schönheit der Welt. Bald würden diese Männer aus unerfindlichen Gründen geopfert werden. Dann würden die Frauen am Rande der Niederlassung leben
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