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Hawaii

Hawaii

Titel: Hawaii Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Michener
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während ein dritter frech auf ihn zutrat und sagte: >Grüß dich, Kakai, wie war der Fischfang?< und noch ehe er antworten konnte...«
    Keoki hatte von seinen geistlichen Lehrern eingeschärft bekommen, an dieser Stelle eine dramatische Pause eintreten zu lassen und dann mit seinen riesigen Händen ein solches todbringendes Kokosseil in die Höhe zu halten. »Während der Agent meines Vaters das Opfer anlächelte, kroch einer der Verschwörer heran und fesselte dessen Arme. Der andere warf ihm dieses Seil um den Hals - so.« Und langsam drehte er das Seil mit seinen Pranken zusammen, machte ein gurgelndes Geräusch in seiner Kehle und ließ den Kopf auf die Brust sinken.
    Nach einer Pause hob er wieder den Kopf, während sein mächtiger Leib den schlechtsitzenden amerikanischen Anzug zu sprengen drohte, und zeigte ein vom Schmerz zerrüttetes Gesicht. »Wir kennen Jesus nicht«, sagte er leise, als käme seine Stimme aus dem Grab.
    Dann verfiel er wieder in einen mitreißenden Redefluß. Seine Stimme donnerte und Tränen überströmten sein Gesicht, so daß der Schrecken seiner jugendlichen Tage deutlich sichtbar wurde. »Junge Männer Gottes!« rief er. »Auf meines Vaters Inseln fahren jede Nacht unsterbliche Seelen in die ewige Verdammnis. Und ihr tragt die Schuld! Ihr habt das Wort Gottes nicht zu meinen Inseln gebracht. Wir hungern nach dem Wort. Wollt ihr uns in eurer Gleichgültigkeit ewig das Wort vorenthalten? Ist heute abend kein Mann unter euch, der aufsteht und sagt: >Keoki Kanakoa, ich gehe mit dir nach Owhyhee und rette dreihunderttausend Seelen für Jesus Christus?<« Der riesige Mann hielt inne. Seine Stimme brach in tiefem, ehrlichem Schmerz. Präsident Day goß ihm ein Glas Wasser ein, aber er schob es beiseite und rief unter Schluchzen: »Will niemand mit mir gehen, um die Seelen meines Volks zu retten?« Er sank zitternd auf seinen Stuhl, erschüttert durch die Offenbarung von Gottes Wort. Dann führte ihn Präsident Day hinaus.
    Die Gewalt der Predigt Keoki Kanakoas ergriff die beiden Stubengenossen, Hale von dem Priesterseminar und Whipple von der medizinischen Fakultät, tief. Sie verließen schweigend den Hörsaal und dachten an das Elend, das ihnen dieser junge Mann von Owhyhee gezeigt hatte. In ihrem Zimmer machten sie nicht einmal mehr die Lampe an, sondern gingen in der Dunkelheit zu Bett, niedergeschmettert von dem Vorwurf der Gleichgültigkeit, den ihnen Keoki gemacht hatte. Als das Furchtbare dieser Gleichgültigkeit schließlich Abners Gewissen durchzuckte, begann er zu weinen - denn er war in einem Zeitalter der Tränen groß geworden -, und nach einer Weile fragte John: »Was ist, Abner?« Der Farmerssohn antwortete: »Ich kann nicht schlafen, weil ich unentwegt an diese armen Seelen denke, die für alle Ewigkeit in die Hölle hinabfahren.« Der Klang seiner Worte verriet, daß er sich jede einzelne Seele bei ihrem Sturz in die ewigen Flammen vorstellte. Und die Qual war unerträglich.
    Whipple sagte: »Sein letzter Satz klingt mir noch immer in den Ohren. >Wer geht mit mir nach Owhyhee?«« Abner Hale antwortete nicht. Lange nach Mitternacht konnte der junge Mediziner noch immer das Schluchzen seines Stubengenossen hören. Er stand auf, zündete die Lampe an und begann sich anzuziehen. Zunächst tat Hale so, als verstünde er nicht, was vorging, aber schließlich sprang er aus dem Bett und packte Whipples Arm. »Was willst du tun, John?«
    »Ich gehe nach Owhyhee«, sagte der Mediziner. »Ich kann nicht mein Leben hier vergeuden und vor den Bitten dieser
    Inseln gleichgültig bleiben.«
    »Aber wo willst du jetzt hin?« fragte Hale. »Zu Präsident Day. Um mich Christus zu weihen.«
    Sie zögerten einen Augenblick und sahen einander prüfend an, der angezogene Medizinstudent und der zukünftige Geistliche im Nachthemd. Dann brach Abner das Schweigen und fragte: »Willst du mit mir beten?«
    »Ja«, sagte Whipple und kniete neben dem Bett nieder. Abner betete: »Allmächtiger Vater, heute haben wir Deinen Ruf gehört. Von der Sternenwüste des Himmels kam Deine Stimme zu uns herab, von den Inseln jenseits der grenzenlosen Tiefe, wo die Seelen verschmachten, erreichte uns Dein Wort. Wenn wir auch unwürdig sind, Dir zu dienen, willst Du uns dennoch annehmen als Deine Knechte?« So fuhr er fort in seinem Gebet zu einem fernen, lebendigen, rächenden und doch gnädigen Gott. Wenn er in diesem Augenblick das Wesen Gottes hätte beschreiben sollen, zu dem er betete, hätte er gesagt: Er

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