Hawkings neues Universum
gekommen, die veralteten Begriffe von Genie und menschlicher Größe zu verdrängen.“
Musils sarkastischer Spott hat den Genie-Begriff – oder genauer: seine inflationäre Verwendung und somit Entleerung – geradezu abgeschlachtet. Wer davon weiß, wird das Wort kaum mehr benutzen wollen. Und so braucht man es auch Hawking nicht anzuheften. Zumal sich dieser selbst nicht als Genie fühlt. Trotzdem bleibt die berechtigte Frage: Ist Hawking die absolute Ausnahmeerscheinung, zu der er immer wieder hochstilisiert wird? (Und damit lässt sich ja auch gut Geld verdienen, schließlich müssen die Medien um die Aufmerksamkeit der allenthalben überreizten Konsumenten buhlen.) Die Antwort lautet zugleich ja und nein.
Ja, insofern kein Mensch auf der Welt bekannt ist, der so lange mit dieser schrecklichen Krankheit gelebt hat, zudem kontinuierlich produktiv blieb und intellektuelle Spitzenleistungen erbrachte. Mit rund 200 wissenschaftlichen Publikationen, davon ein signifikanter Anteil als Alleinautor, hat Hawking eine Bibliographie, die umfangreicher ist als die vieler kerngesunder Forscher. In der Scientific Community ist Hawking hoch respektiert – aber kein Halbgott, wie es Medien zuweilen ohne oder wider besseres Wissen darstellen. Und manche Forscher sind auf Hawkings Publicity sogar neidisch.
Und nein, er ist keine Ausnahmeerscheinung, insofern seine Forschungen nicht singulär sind, sondern im Kontext vieler anderer gesehen werden müssen, teilweise auch in Konkurrenz zu diesen. Selbst Isaac Newton, der wohl größte Naturwissenschaftler aller Zeiten, hat betont: „Wenn ich weiter gesehen habe als andere, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stehe.“ (Und nicht einmal dieses Bonmot hat er selbst erfunden.) „Diese Bemerkung gilt noch mehr für Einstein, der auf den Schultern Newtons stand“, ergänzt Hawking. Deshalb lehnt er auch Vergleiche mit Einstein ab, die oft zu lesen sind. „Ich achte nicht darauf, wie mich Journalisten beschreiben. Ich weiß, dass ich Teil eines Medien-Hypes bin. Sie brauchen eine Figur wie Einstein. Aber ein Vergleich mit ihm ist lächerlich. Sie verstehen weder Einsteins Arbeit noch meine.“
Hawkings Erkenntnisse wären ohne die Leistungen seiner Kollegen kaum möglich gewesen. Viele Artikel hat er zusammen mit anderen verfasst – zum Urknall beispielsweise mit Roger Penrose, George Ellis und James Hartle, die seit Langem ebenfalls einen „großen Namen“ in der Kosmologie haben. Auch beruhen Hawkings Forschungen, wie das in der Physik fast immer der Fall ist, auf den Ergebnissen anderer Wissenschaftler. Selbst die spektakuläre Entdeckung, dass Schwarze Löcher Strahlung abgeben müssen, wäre Hawking 1974 nicht geglückt, hätte er nicht die Überlegungen des israelischen Physikers Jacob Bekenstein gekannt, der zwei Jahre zuvor Schwarzen Löchern eine Entropie zugeschrieben hat, das thermodynamische Maß für Unordnung.
Überhaupt steht Hawking mit vielen Kollegen in regem Gedankenaustausch und ist sehr reisefreudig. Bei der Auswahl seiner Doktoranden und anderen Institutsangehörigen achtet er darauf, dass verschiedene Forschungsgebiete hochkarätig besetzt sind. Das erweitert nicht nur sein Wissen, sondern hilft ihm auch, mehrere Themen gleichzeitig anzugehen. „Es ist nicht gut, sich zu ärgern, wenn man stecken bleibt. Ich denke weiter über die Probleme nach, arbeite aber inzwischen an etwas anderem. Manchmal dauert es Jahre, bis ich die Fortsetzung des Wegs erkenne. Beim Informationsverlust-Paradoxon der Schwarzen Löcher waren es 29.“
Nobelpreis: Warum ihn Hawking nicht bekommt
Dass Stephen Hawking für seine bemerkenswerten Verdienste den Physik-Nobelpreis erhält, ist unwahrscheinlich. Wahrscheinlich weiß er das selbst, sonst würde er nicht so viele Scherze darüber machen. Zwar wurden immer wieder Theoretische Physiker mit der begehrten Medaille ausgezeichnet – früher allerdings häufiger als in den letzten Jahren, man denke nur an den Preis-Reigen für die Quanten- und Elementarteilchenphysiker in den 1920er- und 1930er-Jahren. Doch für Kosmologen und Relativitätstheoretiker sieht die Bilanz schlecht aus. Nicht einmal Einstein wurde dafür geehrt – er erhielt den Preis 1921 für seinen Beitrag zur Quantenphysik. Zwar gab es zwei Preise für die Entdeckung und Erforschung der Kosmischen Hintergrundstrahlung – 1978 und 2006 –, doch die Theoretiker, die deren Existenz schon 1948 prognostiziert hatten, gingen leer aus. Ebenso alle
Weitere Kostenlose Bücher