Hawkings neues Universum
kaum mehr aus dem Bett aufstand. Auch stockte das Buch, an dem er schrieb. Und die sowjetische Regierung hatte allen Forschern für ein Jahr untersagt, im Ausland zu veröffentlichen. Schon vorher waren die Publikationsmöglichkeiten sehr frustrierend. „90 Prozent der Forscher in meinem Gebiet arbeiteten im Ausland“, erinnerte sich Linde später. „Bis meine Artikel erschienen, sind Monate vergangen. Ich drohte, den Ideenwettbewerb zu verlieren.“
Dann befahl ihm die Sowjetische Akademie der Wissenschaften kurzfristig, einen Vortrag in Italien zu halten. Linde erkannte die Chance, einen Artikel ins Ausland zu schmuggeln, um ihn dort in einer international zugänglichen Zeitschrift zu publizieren. Seine Depression war wie weggeflogen, und innerhalb einer Stunde fieberhaften Nachdenkens war er auf seine wohl größte Entdeckung gestoßen: das Weltmodell eines sich ewig selbstreproduzierenden Universums. Denn an jenem Tag hatte Linde erkannt, dass auch die Chaotische Inflation zukunftsewig ist.
Lindes kosmologisches Modell ist eine schier unglaubliche Horizonterweiterung. Stimmt es, wäre unser beobachtbares Universum nicht nur ein winziger Ausschnitt einer viel größeren kosmischen Blase, sondern diese Blase wäre wiederum nur eine unter unzähligen. Selbst wenn die einzelnen Blasen „platzen“ – und physikalisch ist dies auf die abenteuerlichsten Weisen möglich, etwa ein Aufblähen bislang „eingerollter“, mikroskopisch kleiner Raumdimensionen –, hat der gesamte Kosmos genügend Potenzial zur Verjüngung. Die einzelnen Universen können vergehen, das Multiversum als Ganzes aber ist Lindes Modell zufolge ewig.
Wie Vilenkin propagiert also auch Linde die Ewige Inflation – diese Bezeichnung hat sogar er geprägt. (Übrigens hatte auch Paul Steinhardt die Idee der Ewigen Inflation beschrieben, im Nuffield-Workshop-Tagungsband .) Allerdings dürfen Ewige und Chaotische Inflation nicht gleichgesetzt werden. Es handelt sich um zwei verschiedene Aspekte. Die Chaotische Inflation ist wie das Szenario der neuen (und der alten) Inflation ein bestimmtes Modell. Diese Modelle unterscheiden sich in der Form des Inflatonpotenzials und in weiteren physikalischen Eigenschaften. Da sie alle die Eigenschaft haben, dass die Inflation zwar lokal, aber nicht global endet, sind sie alle Beispiele für eine Ewige Inflation. Tatsächlich haben viele andere, jüngere Inflationsmodelle auch diese Eigenschaft – aber nicht alle.
„Versteht man unter Chaotischer Inflation die Annahme chaotischer Anfangsbedingungen des Universums, bin ich kein großer Fan dieser Idee. Sie erklärt nicht, wie es zu diesem Chaos kam“, kritisiert Alex Vilenkin. Trotz dieser Nichtübereinstimmung, ist die gegenseitige Wertschätzung der beiden Wissenschaftler groß; sie haben auch schon gemeinsam Artikel veröffentlicht. „Ich bewundere Andreis Arbeit sehr. Er ist einer der kreativsten Kosmologen, und seine Forschung hatte einen enormen Einfluss auf die Entwicklung des ganzen Gebiets“, sagt Vilenkin. „Auch sind unsere Ideen oft ähnlich gewesen, und wir arbeiteten beide über die Ewige Inflation und das Anthropische Prinzip, als diese Ideen noch sehr unpopulär waren.“
Und noch eine Gemeinsamkeit ist bemerkenswert. Sowohl Linde als auch Vilenkin entdeckten in den 1990er-Jahren, dass die Inflation sogar aus einem „echten“ Vakuum heraus wieder beginnen kann, so dass sich neue Universen gleichsam abschnüren und verselbständigen würden. Linde ging dabei freilich von sehr viel unkonventionelleren Überlegungen aus.
Universen im Labor
Das Szenario der Kosmischen Inflation eröffnet Möglichkeiten, die bislang nur der Phantasie von Science-Fiction-Autoren vorbehalten waren: Die hohe Kunst der Erschaffung von Universen , wie Andrei Linde es provokant im Titel eines im Fachjournal Nuclear Physics veröffentlichten Artikels formuliert hat. Die Grundidee stammt von Alan Guth und Edward Farhi vom Massachusetts Institute of Technology. Sie haben vorgeschlagen, 10 bis 100 Kilogramm Masse aus Partikeln mit Ruheenergien von 10 15 Gigaelektronenvolt im Labor so weit zu verdichten, dass ein Schwarzes Miniloch entsteht. Dessen Inneres könnte dann exponentiell zu expandieren beginnen. Es würde sich ein Tochter-Universum mit eigener Raumzeit bilden, das sich von unserem rasch abnabelte.
„Das bringt keine spektakulären Änderungen mit sich, es entsteht kein großes Loch im Boden“, beschwichtigt Linde etwaige Befürchtungen – obwohl
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