Hawkings neues Universum
Charles Howard Hinton über eine vierdimensionale Raumzeit, in der gewöhnliche Partikel gleichsam als Fäden vorkommen – eine fast prophetische Vorwegnahme des von Minkowski geprägten Begriffs der Weltlinie, der in der Relativitätstheorie eine zentrale Rolle spielt.
Die vierdimensionale Realität wird oft als „Block-Universum“ bezeichnet, denn sie entwickelt sich nicht, sondern ist gleichsam als Ganzes und „auf einmal“ da. Wenn es Gott gäbe und er außerhalb der Zeit existierte, wie schon der Kirchenvater Augustinus glaubte, könnte er gewissermaßen die Welt in ihrer Totalität von Anfang bis Ende überblicken.
Veränderte Zeitauffassung: Die Zeit ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Isaac Newton galt sie als absolut – überall im Universum konnte man sich Uhren aufgestellt denken, die für beliebige Beobachter synchron laufen, der Zeitpunkt eines „Jetzt“ sollte universell sein. Albert Einstein hingegen erkannte, dass die Zeit untrennbar mit dem Raum verbunden ist, bei hohen Geschwindigkeiten und die Raumzeit krümmenden Schwerefeldern gedehnt erscheint sowie für unterschiedliche Beobachter verschieden ist. Deshalb existiert keine objektive Gleichzeitigkeit, sondern für jeden Beobachter eine unendliche Menge beliebiger „Hyperflächen“, die alle zusammen die Raumzeit des Block-Universums ergeben. In ihr sind die Weltlinien der Beobachter von Anfang bis Ende fixiert.
Der Begriff des unveränderlichen „Block-Universums“ geht auf den amerikanischen Psychologen und Philosophen William James zurück. In seinem Essay The Dilemma of Determinism von 1884 kritisierte er die Vorstellung des Determinismus, die der Idee eines freien Willens widerspräche. Denn der Determinismus behauptet, „dass die Bereiche des Universums, die bereits feststehen, absolut darüber verfügen, was aus den anderen Bereichen werden soll. In der Gebärmutter der Zukunft liegen nicht verschiedene Möglichkeiten verborgen. [...] Das Ganze steckt in jedem einzelnen Teil und ist zu einer absoluten Einheit verschweißt, zu einem Eisenblock, in dem keine Zweideutigkeit oder ein Schatten einer Veränderung sein kann.“
Dieses Bild des ein für allemal fixierten Eisenblocks liegt der Philosophie des Eternalismus zugrunde. Die Vorstellung ist freilich viel älter und geht schon auf die Eleatische Philosophenschule um Parmenides und Zenon zurück, die die Realität der Zeit leugneten: Nicht das von Heraklit propagierte Werden, sondern das ewige, unveränderliche Sein ist die Wirklichkeit.
Eine eindrucksvolle literarische Umsetzung des quasi-räumlichen Alles-auf-einmal-Zeiterlebens ist 1970 dem amerikanischen Science-Fiction-Autor Norman Spinrad in seiner Geschichte The Weed of Time gelungen. Darin hebt ein außerirdisches Kraut, das von der ersten Expedition zu einem anderen Planeten auf die Erde zurückgebracht wird, die Illusion der Zeitlichkeit auf – wenn man es isst, hat man sein ganzes Leben von der Geburt bis zum Tod vor Augen und kann doch nichts daran ändern. Eine ähnliche Idee verfolgt Ted Chiangs Story of Your Life von 1999. Darin wird beschrieben, wie eine neue Sicht von Sprache und Denken das Zeiterleben so verändert, dass man sein ganzes Leben quasi simultan vor sich sieht.
Eternalismus – wenn alles auf einmal da ist
Dass Gestern, Heute und Morgen alles eins und gleichberechtigt sein sollen und die subjektive Befindlichkeit gleichsam ihrer Priorität beraubt wird, ist für viele ein Schock oder Ärgernis. Doch die physikalischen Erkenntnisse lassen sich nicht einfach vom Tisch wischen oder beliebig umdeuten, auch wenn die Physik kein totalitäres Monopol auf die Betrachtung der Wirklichkeit beanspruchen sollte.
Wie lässt sich die Minkowski-Raumzeit interpretieren? Antwort: Entweder als ein vierdimensionaler mathematischer Raum, der die Zeitentwicklung der dreidimensionalen Welt repräsentiert, oder als mathematisches Modell einer vierdimensionalen Welt, in der die Zeit die vierte Dimension ist. Diese zweite Deutung ist für Petkov, Saunders und andere die angemessene, denn nur sie vermeidet das Paradoxon, dass die Existenz relativ ist.
Dieses Block-Universum der Raumzeit ist quasi zeitlos oder ewig. Deshalb wird dem Präsentismus eine andere philosophische Sicht der Welt gegenüber gestellt: der Eternalismus (von lateinisch „aeternus“: ewig). Im Eternalismus sind alle Zeitpunkte und ihre Bezugssysteme gleich wirklich. Die Zeit ist eine reale vierte Dimension analog zu den drei
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