Hawks, John Twelve - Dark River
Pullover und bequeme Schuhe mit fester Profilsohle, wie man sie für Spaziergänge über matschiges Weideland braucht. Obwohl Mrs. Brewster keinen offiziellen Titel zu tragen schien, beugten die anderen Vorstandsmitglieder sich ihrem Charisma. Niemand sprach sie jemals mit Vornamen an. Sie benahm sich, als wäre die ganze Welt eine chaotische Schule und sie die neue Direktorin. Alles musste neu organisiert werden. Schlampiges Arbeiten und schlechte Gewohnheiten würden nicht länger toleriert. Egal, wie die Konsequenzen aussahen –, sie würde gründlich aufräumen.
Mrs. Brewster goss etwas Sahne in ihren Tee und lächelte freundlich. »Freuen Sie sich schon auf die Vorstandssitzung, Michael?«
»Ja, Madam. Ich bin mir sicher, dass es sehr interessant werden wird.«
»Da liegen Sie absolut richtig. Hat General Nash Ihnen gesagt, worum es geht?«
»Eigentlich nicht.«
»Der Leiter unseres Berliner Computerzentrums wird eine bedeutende technische Neuerung vorstellen, mit deren Hilfe wir das Panopticon errichten können. Zur Fortführung des Projektes benötigen wir die uneingeschränkte Zustimmung des Vorstandes.«
»Ich bin mir sicher, dass Sie die bekommen werden.«
Mrs. Brewster nippte an ihrem Tee und stellte die Porzellantasse auf die Untertasse zurück. »Es gibt da ein paar Besonderheiten, was unseren Vorstand betrifft. Manchmal stimmen Mitglieder bei einem Treffen mit ja, nur um uns später ein Messer in den Rücken zu stoßen. Aus diesem Grund sind Sie hier, Michael. Hat irgendjemand Sie darüber informiert, dass es meine Idee war, Sie einzuladen?«
»Ich dachte, das wäre General Nashs Idee gewesen.«
»Ich habe alles über die Traveler gelesen«, sagte Mrs. Brewster. »Angeblich brauchen einige von Ihnen bloß einen Blick ins Gesicht einer Person zu werfen, um ihre Gedanken zu lesen. Verfügen Sie über diese besondere Gabe?«
Michael zuckte mit den Schultern. Er hütete sich, zu viel von seinen Fähigkeiten preiszugeben. »Ich merke, wenn jemand lügt.«
»Gut. Genau das tun Sie bitte während der Sitzung. Es wäre äußerst hilfreich, wenn Sie feststellen könnten, wer mit ja stimmt, aber nein denkt.«
Michael folgte Mrs. Brewster in den Bankettsaal, wo General Nash eine kurze Ansprache hielt und alle Gäste auf Dark Island willkommen hieß. An einem Ende des Raumes hingen drei Flachbildschirme, davor bildeten breite Ledersessel einen Halbkreis. Der mittlere Bildschirm war weiß, auf den beiden Seitenschirmen hingegen erschien ein Muster aus rechteckigen Fenstern. In der ganzen Welt saßen Mitglieder der Bruderschaft vor dem Computer, um an der Konferenz teilzunehmen. Einige von ihnen benutzten Webcams, sodass ihr Gesicht in einem Fenster auf dem Bildschirm erschien. Die meisten Fenster zeigten jedoch nur den geografischen Standpunkt des Mitglieds an: Barcelona, Mexico City, Dubai.
»Ah, da ist er ja«, sagte Nash, als Michael den Raum betrat. »Meine Damen und Herren, das ist Michael Corrigan.«
Nash legte eine Hand auf Michaels rechte Schulter, führte ihn herum und stellte ihn den anderen vor. Michael fühlte sich wie ein aufsässiger Teenager, dem endlich gestattet wurde, an der Erwachsenenparty teilzunehmen.
Nachdem alle Platz genommen hatten, betrat Lars Reichhardt, der Leiter des Computerzentrums in Berlin, das Podium. Er war ein stämmiger Mann mit rotem Haar, glühenden Wangen und einem dröhnenden Lachen, das den Saal erfüllte.
»Es ist mir eine Ehre, vor Ihnen zu sprechen«, sagte Reichhardt. »Wie Sie wissen, wurde der Quantencomputer letztes Jahr während des Angriffs auf unsere New Yorker Forschungseinrichtung beschädigt. Zum aktuellen Zeitpunkt ist er immer noch nicht betriebsbereit. Das neue Computerzentrum in Berlin bedient sich konventionellerer Technologien, arbeitet aber dennoch sehr effektiv. Außerdem haben wir ein weltweites Netz aus verlinkten Computern gebildet, die unsere Befehle ohne das Wissen der jeweiligen Benutzer ausführen …«
Hinter dem Podium erschienen digitale Zahlenreihen auf dem mittleren Bildschirm. Während Reichhardts Vortrag wurden die Zahlen kleiner und kleiner und verschmolzen schließlich zu einem schwarzen Punkt.
»Zusätzlich setzen wir verstärkt auf unser computertechnisches Immunsystem. Wir haben autarke, sich selbst reproduzierende Computerprogramme entwickelt, die sich durchs Internet bewegen wie weiße Blutkörperchen durch den menschlichen Körper. Aber anstatt Viren und Infektionsherde aufzuspüren, suchen diese Programme
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