Hawks, John Twelve - Dark River
Ausdruck gebracht hatte. Wenn der Traveler genauer hinsah, zerfielen die Masken in kleine Bruchstücke der Realität.
»Das Schattenprogramm stellt eine bedeutende Errungenschaft dar«, sagte Michael. »Sobald es sich in Berlin durchgesetzt hat, wird es mühelos auf andere Länder ausgeweitet werden können. Es gibt jedoch eine Bedrohung, die das gesamte System zerstören könnte.« Er hielt inne und ließ den Blick schweifen. »Da draußen treibt sich ein aktiver Traveler herum. Ein Mensch, der möglicherweise zum Widerstand gegen Ihr Vorhaben aufruft.«
»Ihr Bruder stellt kein signifikantes Problem dar«, sagte Nash. »Er ist auf der Flucht und verfügt über keinerlei Unterstützung.«
»Ich spreche nicht von Gabriel. Ich spreche von meinem Vater.«
Michael sah die Verwunderung in den Gesichtern der anderen und die Wut von Kennard Nash. Der General hatte niemanden über Matthew Corrigan informiert. Vielleicht wollte er nicht geschwächt oder unvorbereitet wirken.
»Wie bitte?« Mrs. Brewster klang, als hätte sie eben einen Fehler in einer Restaurantrechnung entdeckt. »Ist Ihr Vater nicht seit Jahren verschwunden?«
»Er ist noch am Leben. In diesem Moment könnte er sich in jedem Teil der Welt aufhalten und den Widerstand gegen das Panopticon organisieren.«
»Unsere Ermittlungen laufen noch«, sprudelte Nash hervor. »Mr. Boone kümmert sich um das Problem, und er hat mir versichert, dass …«
Michael fiel ihm ins Wort. »Das Schattenprogramm wird versagen, und alle anderen Ihrer Programme ebenfalls, wenn es Ihnen nicht gelingt, meinen Vater zu finden. Sie wissen, dass er die Gemeinschaft New Harmony in Arizona gegründet hat. Wer weiß, wie viele andere Widerstandszellen er noch organisiert hat oder gerade organisiert?«
Im Saal machte sich angespanntes Schweigen breit. Beim Blick in die Gesichter der Bruderschaftler erkannte Michael, dass er es geschaffte hatte, ihre Furcht zu wecken.
»Und was sollen wir jetzt tun?«, fragte Jensen. »Haben Sie irgendwelche Vorschläge?«
Michael beugte den Kopf wie ein ergebener Diener. »Nur ein Traveler ist in der Lage, einen Traveler zu finden. Lassen Sie mich Ihnen helfen.«
ZWÖLF
I n der Flatbush Avenue in Brooklyn fand Gabriel ein kleines Reisebüro, in dessen Schaufenster verstaubtes Strandspielzeug lag. Das Geschäft wurde von Mrs. Garcia geleitet, einer älteren Dame aus der Dominikanischen Republik, die mindestens einhundertdreißig Kilo wog. Sie plapperte in einer Mischung aus Englisch und Spanisch vor sich hin, während sie sich mit den Füßen vom Boden abstieß und auf einem Bürostuhl mit quietschenden Rollen durch das Büro fegte. Als Gabriel ihr sagte, er wolle ein einfaches Flugticket nach London kaufen und bar bezahlen, hielt Mrs. Garcia abrupt inne und musterte den neuen Kunden.
»Haben Sie einen Pass?«
Gabriel legte seinen neuen Reisepass auf den Schreibtisch. Mrs. Garcia inspizierte ihn wie eine Zollbeamtin und befand ihn für akzeptabel. »Nur Hinflug bedeutet Fragen mit inmigración y la policía. Vielleicht sind Fragen nicht gut. Sí?«
Gabriel erinnerte sich an Mayas Vortrag zum Thema Flugreisen. Sogar Großmütter mit Nagelscheren im Gepäck und andere Passagiere, die gegen einfache Regeln verstießen, wurden durchsucht. Während Mrs. Garcia an ihren Schreibtisch rollte, zählte er das Geld in seiner Brieftasche. Wenn er Hin-und Rückflug kaufte, blieben ihm noch ungefähr einhundertzwanzig Dollar. »Also gut«, sagte er. »Geben Sie mir ein Ticket für Hin- und Rückflug. Ich nehme das nächste Flugzeug.«
Mrs. Garcia buchte den Flug mit ihrer privaten Kreditkarte und gab Gabriel Informationen über ein Hotel in London. »Sie müssen dort nicht wohnen«, erklärte sie, »aber Sie müssen el oficial del pasaporte eine Adresse und Telefonnummer angeben.« Da Gabriel gestand, kein Gepäck außer seiner Tasche zu besitzen, verkaufte Mrs. Garcia ihm für zwanzig Dollar einen Segeltuchkoffer, den sie mit ein paar gebrauchten Kleidern ausstopfte. »Jetzt sind Sie ein Tourist. Und, was wollen Sie sich in England ansehen? Die Frage wird man Ihnen vielleicht stellen.«
Tyburn Convent, dachte Gabriel. Mein Vater ist dort. Aber er zuckte nur mit den Schultern und starrte auf den zerkratzten Linoleumboden. »London Bridge, vielleicht. Den Buckingham Palace …«
»Bueno, Mr. Bentley. Und grüßen Sie die Queen.«
Es war Gabriels erster Transatlantikflug; bislang kannte er so etwas nur aus Filmen und aus der Fernsehwerbung. Dort
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