Hawks, John Twelve - Dark River
den Meeresspiegel erhoben hatten. Etwa ein Drittel unterhalb des höchsten Gipfels waren graue Steinhäuser in den Berg gebaut, und jedes einzelne hatte die Form eines auf den Kopf gestellten Kegels. Aus der Ferne sahen sie wie riesige Bienenstöcke aus. Auf dem Messingschild standen Wörter in gotischer Schrift. SKELLIG COLUMBA. IRELAND.
»Was ist das für ein Foto?«
Erschreckt unterbrach Schwester Teresa ihren einstudierten Vortrag. »Das ist Skellig Columba, eine Insel an der Westküste von Irland. Der Klarissenorden unterhält dort ein Kloster.«
»Ist das Ihr Orden?«
»Nein. Wir sind Benediktinerinnen.«
»Aber ich dachte, alles in dieser Krypta hat mit Ihrem Orden oder den englischen Märtyrern zu tun.«
Schwester Teresa schlug die Augen nieder und kniff die Lippen zusammen. »Gott kümmert sich nicht um Nationalitäten. Nur um Seelen.«
»Das will ich gar nicht in Frage stellen, Schwester. Trotzdem kommt es mir merkwürdig vor, in diesem Schrein ein Bild von einem irischen Kloster entdecken.«
»Wahrscheinlich haben Sie Recht. Es passt nicht wirklich hinein.«
»Hat irgendein Außenstehender es hier im Kloster aufgehängt?« , fragte Gabriel.
Die Nonne steckte eine Hand in die Tasche und zog den schweren Schlüsselbund heraus. »Es tut mir leid, Sir. Aber Sie müssen jetzt gehen.«
Gabriel bemühte sich, seine Aufregung zu verbergen, als er hinter Schwester Teresa die Treppe hinaufstieg. Einen Moment später stand er draußen auf dem Bürgersteig. Die Sonne war hinter den Bäumen des Hyde Parks verschwunden, und es wurde langsam kalt. Er schloss das blaue Monster auf und radelte die Bayswater Road bis zum Kreisverkehr entlang.
Als er einen Blick in den Rückspiegel warf, entdeckte er etwa hundert Meter hinter sich einen Motorradfahrer mit schwarzer Lederjacke. Er hätte die Straße entlangdonnern und im Stadtverkehr verschwinden können, aber er hielt sich seitlich des Bordsteins. Sein Gesicht war hinter einem getönten Helm verborgen, und sein Aufzug erinnerte Gabriel an die Söldner der Tabula, die ihn vor drei Monaten durch Los Angeles gejagt hatten.
Unvermittelt bog Gabriel in die Edgware Road ab und warf zur Kontrolle einen Blick in den Spiegel. Das Motorrad folgte ihm. Auf der Straße staute sich der Berufsverkehr; Richtung Osten rollten Busse und Taxis in wenigen Zentimetern Abstand nebeneinander her. Gabriel bog in die Blomfield Road ein, holperte auf den Bürgersteig und fing an, im Zickzack die Passanten zu umkurven, die aus den Bürogebäuden kamen und zur U-Bahn strömten. Eine ältere Frau blieb stehen und schimpfte. »Auf die Straße – sofort!« Aber Gabriel ignorierte die bösen Blicke und verschwand um die Ecke in die Warwick Avenue.
Eine Metzgerei. Eine Apotheke. Ein Restaurant, das kurdische Küche anpries. Gabriel kam schlingernd zum Stehen und schubste das blaue Monster hinter einen Haufen leerer Pappkartons. Schnell kehrte er auf den Bürgersteig zurück und schritt durch die automatischen Türen eines Supermarktes.
Eine Aushilfe, die Dosen ins Regal packte, schaute ihm zu, wie er sich einen Einkaufskorb griff und durch den nächsten Gang eilte. Sollte er ins Vine House zurückkehren? Nein, vielleicht warteten die Tabula dort schon auf ihn. Sie würden seine neuen Freunde genauso entschlossen und kaltblütig ermorden wie die Familien in New Harmony.
Gabriel erreichte das Ende des Ganges, bog um die Ecke – und stand vor dem Motorradfahrer, der auf ihn zu warten schien. Der Mann sah wie ein Schlägertyp aus, mit massigen Schultern und Armen, kahl rasiertem Kopf und tiefen Falten im Gesicht, die den Raucher verrieten. In der linken Hand hielt er den getönten Helm, in der rechten ein Satellitentelefon.
»Laufen Sie nicht weg, Mr. Corrigan. Bitte. Nehmen Sie das.«
Der Motorradfahrer streckte den Arm aus und hielt Gabriel das Telefon hin. »Sprechen Sie mit Ihrer Freundin«, sagte er. »Aber vergessen Sie nicht, keine Namen, keine Fakten.«
Gabriel hielt sich das Telefon ans Ohr und hörte ein leises Knacken und Rauschen. »Wer ist da?«, fragte er.
»Ich bin zusammen mit unserer Freundin in London«, sagte Maya. »Der Mann, der dir das Telefon gegeben hat, ist mein Geschäftspartner.«
Der Motorradfahrer verzog die Lippen zu einem kleinen Lächeln, und Gabriel begriff, dass Linden ihn aufgespürt hatte, der französische Harlequin.
»Kannst du mich hören?«, fragte Maya. »Alles in Ordnung?«
»Ich bin okay«, sagte Gabriel. »Es tut gut, deine Stimme zu
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