Hawks, John Twelve - Dark River
unauffällige Arten, und niemanden kümmert’s.«
Gegen ein Uhr nachts hatte sich die Party aufgelöst, und Gabriel hatte geholfen, die Böden zu wischen und den Müll einzusammeln. Inzwischen war Montag, und er wartete auf Rolands Rückkehr vom Tyburn Convent. Plötzlich hörte er Stiefel die Treppe heraufpoltern. Ein leises Klopfen an der Tür, und Roland betrat die Dachkammer. Der Free Runner aus Yorkshire sah immer ernst und ein bisschen traurig aus. Sebastian hatte einmal gesagt, Roland wäre ein Schäfer, der seine Herde verloren hatte.
»Hab getan, was du wolltest, Halo. Bin zu dem Kloster hin.« Roland schüttelte langsam den Kopf. »War noch nie in einem Kloster. In meiner Familie waren alle presbyterianisch.«
»Und, wie ist es gelaufen?«
»Diese beiden Nonnen, von denen du erzählt hast, Schwester Ann und Schwester Bridget, sind beide weg. Da gibt es jetzt eine Neue. Schwester Teresa. Sie meinte, sie wäre in dieser Woche die Pförtnerin. Was immer das heißen soll …«
»Die Pförtnerin ist die einzige Nonne, die mit Fremden sprechen darf.«
»Ach so. Na ja, mit mir hat sie gesprochen. Nettes Mädchen. Ich hatte kurz dran gedacht, sie zu fragen, ob sie mit mir in einen Pub gehen und ein Bier trinken will. Aber wahrscheinlich tun Nonnen so was nicht.«
»Wahrscheinlich nicht.«
Roland stand im Türrahmen und sah zu, wie Gabriel sich die Lederjacke anzog. »Alles in Ordnung, Halo? Soll ich mitkommen nach Tyburn?«
»Nein, das muss ich allein erledigen. Keine Sorge. Ich komme zurück. Was gibt es zum Abendessen?«
»Lauch«, antwortete Roland langsam. »Würstchen. Kartoffelbrei. Lauch.«
Alle Fahrräder im Vine House hatten Spitznamen und standen im Gartenschuppen. Gabriel lieh sich ein Fahrrad namens Blaues Monster aus und fuhr nach Norden in Richtung Themse. Das blaue Monster war mit Motorradgriffen und dem Rückspiegel eines Lieferwagens ausgestattet, den verrosteten Rahmen hatte jemand mit hellblauer Farbe bespritzt. Das Hinterrad quietschte pausenlos, während Gabriel über die Westminster Bridge und durch den Stadtverkehr bis zum Tyburn Convent radelte. Eine junge Nonne mit braunen Augen und dunkler Haut öffnete ihm die Tür.
»Ich wollte mir den Schrein ansehen«, sagte Gabriel.
»Das geht nicht«, sagte die Nonne. »Wir schließen gerade.«
»Leider fliege ich morgen Früh nach Amerika zurück. Meinen Sie, ich könnte mich kurz einmal umsehen? Ich träume seit Jahren davon, endlich herzukommen.«
»Oh, ich verstehe. In dem Fall …« Die Nonne öffnete die Tür und ließ ihn in den Käfig eintreten, der dem Kloster als Empfangsraum diente. »Es tut mir leid, aber Sie können nur ein paar Minuten bleiben.«
Sie zog den Schlüsselbund aus der Tasche und schloss das Tor auf. Gabriel stellte ein paar Fragen und erfuhr, dass die Nonne ursprünglich aus Spanien kam und dem Orden im Alter von vierzehn Jahren beigetreten war. Noch einmal stieg er die Eisentreppe zur Krypta hinunter. Die Nonne knipste das Licht an, und er betrachtete die Knochen, die blutbefleckten Kleider und die übrigen Reliquien der englischen Märtyrer. Gabriel wusste, es war gefährlich, noch einmal herzukommen. Er hatte nur diese eine Gelegenheit, den Hinweis zu finden, den sein Vater ihm hinterlassen hatte.
Schwester Teresa hielt eine kleine Ansprache über den spanischen Botschafter und den Galgen von Tyburn. Gabriel schlenderte um die einzelnen Glasvitrinen herum und nickte mit dem Kopf, als lauschte er jedem Wort. Knochenfragmente. Blutverschmierte Rüschen. Noch mehr Knochen. Ihm wurde klar, dass er weder über die katholische Kirche noch über die Geschichte Englands viel wusste. Er hatte das Gefühl, zu einer wichtigen Prüfung in einem Klassenraum zu stehen, ohne die Schulbücher gelesen zu haben.
»Während der Restauration öffnete man die Massengräber von Tyburn und …«
Die Zeit und die Hände der Gläubigen hatten die hölzernen Schaukästen der Krypta im Lauf der Jahre dunkel eingefärbt. Falls es hier irgendwelche Hinweise auf seinen Vater gab, würden sie in einem neueren Gegenstand versteckt sein. Während Gabriel eine Runde durch den Raum drehte, bemerkte er an der Wand ein Foto in einem neuen Kiefernrahmen. An einer unteren Ecke befand sich ein Messingschildchen, das das Licht reflektierte.
Gabriel trat näher heran und studierte das Schwarzweißbild. Es handelte sich um ein Foto von einer kleinen, felsigen Insel, die entstanden war, als sich zwei zerklüftete Berggipfel über
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