Hawks, John Twelve - Dark River
diese Angst noch, während sie unsere Freiheiten beschneiden.
Aber die Free Runner haben keine Angst. Einige von uns versuchen, außerhalb des Rasters zu leben. Andere rebellieren mit kleinen Gesten. Heute Abend bitte ich euch um einen größeren Gefallen. Ich glaube, dass die Tabula kurz vor einem entscheidenden Schritt zur Einführung des elektronischen Gefängnisses stehen. Es geht dabei nicht um ein paar zusätzliche Kameras oder ein modifiziertes Scannerprogramm. Es geht um die Vollendung ihres Plans.
Und wie sieht dieser Plan aus? Das ist die Frage. Ich möchte, dass ihr die Gerüchte auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft. Ich brauche Leute, die ihre Freunde befragen, das Internet durchkämmen und den Stimmen lauschen, die der Wind ihnen zuträgt.« Gabriel zeigte auf Sebastian. »Dieser Mann hat eine der ersten geheimen Websites für unsere Sache eingerichtet. Schickt eure Informationen an ihn, dann können wir den Widerstand organisieren.
Vergesst nicht, dass jeder Einzelne von euch immer noch die Wahl hat. Ihr müsst das neue System aus Angst und Kontrolle nicht hinnehmen. Es steht in unserer Macht, nein zu sagen. Wir haben ein Recht auf Freiheit. Danke.«
Niemand johlte oder applaudierte, aber alle schienen dem Traveler zuzustimmen, als er den Raum verließ. Manche berührten Gabriels Hand, wenn er an ihnen vorbeiging.
Draußen auf der Straße war es kalt. Mother Blessing machte Brian, dem irischen Söldner, der auf dem Bürgersteig vor dem Haus gewartet hatte, ein Zeichen. »Er ist fertig. Los geht’s.«
Sie stiegen hinten in einen Lieferwagen ein, während Brian auf den Fahrersitz kletterte. Sekunden später rollten sie in langsamem Tempo durch die neblige Langley Lane.
Mother Blessing sah Gabriel an. Zum ersten Mal, seit sie sich begegnet waren, behandelte der Harlequin ihn nicht von oben herab. »Planen Sie weitere Vorträge?«, fragte sie.
Ich werde weiter nach meinem Vater suchen , dachte Gabriel, aber er behielt sein Vorhaben für sich. »Vielleicht. Ich weiß es noch nicht.«
»Sie erinnern mich an Ihren Vater«, sagte Mother Blessing. »Bevor wir nach Irland kamen, habe ich ihn einige Male vor Leuten in Portugal und Spanien sprechen hören.«
»Hat er jemals seine Familie erwähnt?«
»Er hat mir erzählt, dass Sie und Ihr Bruder als kleine Jungen Thorn kennengelernt haben.«
»Das ist alles? Sie haben meinen Vater monatelang beschützt, und mehr hat er nicht gesagt?«
Mother Blessing sah aus dem Fenster, als sie auf einer Brücke über die Themse fuhren. »Er sagte, Harlequins und Traveler befänden sich in einem langen Tunnel, und manchmal wäre es schwierig, das Licht am Ende zu sehen.« Am Camden Market hatten Maya, Vicki und Alice den Lastkahn verlassen und Londoner Boden betreten. Zu viktorianischen Zeiten war die Stelle als Anleger für die Boote genutzt worden, die Kohle und Holz brachten. Inzwischen waren die Lagerhallen und Bootshäuser zu einem weitläufigen Marktgelände mit unzähligen kleinen Boutiquen und Lebensmittelläden umfunktioniert worden. Hier konnte man Keramik und Pasta, antiken Schmuck und ausrangierte Armeeuniformen kaufen.
Brian ließ sie an der Chalk Farm Road aussteigen, und Mother Blessing führte Gabriel über das Marktgelände. Die Immigranten, die die Essensbuden betrieben, stellten Stühle hoch und warfen nicht verkauftes Hühnercurry in Abfallsäcke. Ein paar bunte Lichterketten, die noch von Weihnachten übrig geblieben waren, schaukelten im Wind, aber die Ränder des Platzes lagen im Dunkeln, und Ratten huschten durch die unbeleuchteten Ecken.
Mother Blessing kannte die Standorte aller Überwachungskameras in dieser Gegend, trotzdem blieb sie hin und wieder stehen, um einen Kameradetektor zu benutzen – ein tragbares Gerät von der Größe eines Mobiltelefons. Die starken Dioden des Detektors gaben Infrarotlicht ab, das für das menschliche Auge unsichtbar war. Die Linsen der Überwachungskameras reflektierten die Strahlung und tauchten wie kleine, glühende Vollmonde auf dem Display des Detektors auf. Gabriel war beeindruckt, wie schnell der irische Harlequin eine versteckte Kamera orten und sich aus ihrem Blickfeld entfernen konnte.
Am Ostrand des Marktgeländes standen alte Ziegelsteinhäuser, frühere Stallungen für die Pferde, die die Kutschen und Omnibusse durch Londons Straßen gezogen hatten. Weitere ehemalige Ställe befanden sich in den Katakomben, den Hohlräumen unter den auf Stelzen verlaufenden Bahnschienen. Mother Blessing
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