Hawks, John Twelve - Dark River
führte Gabriel durch einen ziegelsteinernen Torbogen in die Katakomben hinein. Sie liefen an abgeschlossenen Geschäften und Ateliers vorbei. Im Eingangsbereich war der Tunnel rosa gestrichen, an anderen Stellen hatte man die Ziegelwände mit Aluminiumfolie abgedeckt. Schließlich standen sie vor dem Eingang zu Winston Abosas Laden. Der Westafrikaner saß auf dem Betonboden und nähte eine Tierhaut auf eine Holztrommel.
Winston stand auf und nickte den Besuchern zu. »Willkommen. Ihre Rede war hoffentlich ein Erfolg?«
»Irgendwelche Kunden?«, fragte Mother Blessing.
»Nein, Madam. Der Abend war ziemlich ruhig.«
Sie machten einen Bogen um afrikanische Trommeln und geschnitzte Ebenholzstatuen, die heidnische Götter und schwangere Frauen darstellten. Winston zog ein Stoffbanner beiseite, das für ein Trommlerfestival in Stonehenge warb, und zum Vorschein kam eine verstärkte, in die Ziegelwand eingelassene Stahltür. Winston schloss sie auf, und sie betraten ein Apartment mit vier Zimmern, die von einem langen Flur abgingen. Im Wohnzimmer standen ein Klappbett und zwei Fernsehmonitore, auf denen der Ladeneingang und der Eingang zu den Katakomben zu sehen waren. Gabriel ging geradeaus durch den Flur an der kleinen Küche und dem Badezimmer vorbei bis zu einem fensterlosen Raum mit einem Stuhl, einem Schreibtisch und einem schmiedeeisernen Bettgestell. Dies war seit drei Tagen sein Zuhause.
Mother Blessing öffnete den Küchenschrank und nahm eine Flasche irischen Whiskey heraus. Winston folgte Gabriel in sein Zimmer. »Haben Sie Hunger, Mr. Gabriel?«
»Jetzt nicht, Winston. Ich werde mir später einen Tee und einen Toast machen.«
»Die Restaurants sind noch geöffnet. Ich könnte Ihnen etwas zu essen holen.«
»Danke. Suchen Sie aus, was Sie möchten. Ich werde mich einen Moment hinlegen.«
Winston schloss die Tür hinter sich, und Gabriel konnte ihn mit Mother Blessing reden hören. Gabriel legte sich aufs Bett und betrachtete die nackte Glühbirne, die an einem Kabel von der Decke hing. In dem Zimmer war es kalt, und aus einem Riss in der Wand sickerte Wasser.
Die Energie, die Gabriel während seiner Rede gespürt hatte, war verflogen. Plötzlich wurde ihm klar, dass er in diesem Augenblick in derselben Lage war wie sein Vater – sie beide lagen, beschützt von einem Harlequin, in einem dunklen Raum. Aber ein Traveler konnte sich über solche Beschränkungen hinwegsetzen. Das Licht konnte in anderen Sphären nach dem Licht suchen. Wenn er transzendierte, könnte er in der Ersten Sphäre nach seinem Vater suchen.
Gabriel stand auf und setzte sich auf die Bettkante, die Hände auf dem Schoß und die Füße auf dem Betonboden. Entspanne dich, sagte er sich. Die erste Stufe des Transzendierens ähnelte dem Beten oder Meditieren. Er schloss die Augen und stellte sich den Lichtkörper vor, der seinen physischen Körper bewohnte. Er spürte die Energie und zeichnete in Gedanken ihre Umrisse in seinen Schultern, Armen und Handgelenken nach.
Einatmen. Ausatmen. Und plötzlich rutschte die linke Hand von seinem Schoß und plumpste auf die Matratze wie ein lebloser Gegenstand. Als Gabriel die Augen öffnete, sah er einen Geisterarm, der sich aus seinem Körper befreit hatte. Der Arm war ein schwarzer, mit kleinen Lichtpunkten durchsetzter Hohlraum. Das Ganze sah aus wie ein Sternbild am Nachthimmel. Gabriel konzentrierte sich auf die fremde Realität und hob die Geisterhand an, dann noch ein Stückchen höher, und plötzlich brach das Licht aus seinem Körper aus wie ein Schmetterling aus seinem Kokon.
FÜNFUNDZWANZIG
R osaleen Magan stand auf der Veranda ihres zweistöckigen, mit Schindeln verkleideten Hauses und schaute Kapitän Thomas Foley nach, der durch eine enge Nebenstraße von Portmagee stakste. Zum Mittagessen hatte ihr Vater fünf Flaschen Guinness geleert, aber Rosaleen hatte sich über seinen Alkoholkonsum nicht aufgeregt. Der Kapitän hatte geholfen, sechs Kinder großzuziehen, er war bei jedem Wetter auf Fischfang gewesen und hatte im Pub noch nie einen Streit angezettelt. Gib ihm noch ein Bier, wenn er unbedingt eins will , dachte sie bei sich. Dann muss er nicht ständig an seine Arthritis denken.
Sie ging in die Küche und schaltete den Computer ein, der in einem Alkoven neben der Vorratskammer stand. Ihr Mann war gerade auf einer Fortbildung in Limerick, und ihr Sohn lebte als Kunsttischler in Amerika. Im Sommer füllte sich das Haus mit Feriengästen, aber während der kalten Monate
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