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Head Shot: Thriller (Knaur TB) (German Edition)

Head Shot: Thriller (Knaur TB) (German Edition)

Titel: Head Shot: Thriller (Knaur TB) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Knopf
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bemerkenswert intakt, die Faktoren für Gemütsbewegung, Gleichmut und Empathie jedoch praktisch nicht messbar waren. Sie schob das, ein wenig oberflächlich, wie ich fand, auf meine kürzlich erlittene Schussverletzung und die Tatsache, dass ich den brutalen Mord an meiner geliebten Frau hatte miterleben müssen. Ich sagte zu Evelyn, ich hoffte, wir hätten für die Diagnose nicht zu viel bezahlt.
    Meine rechte Hand war steif, aber dennoch ruhig wie Stein, doch mein berühmtes Grinsen, das ich nur noch selten zeigte, wirkte wie ein höhnisches Feixen. Schlimmer war, dass meine Sinneswahrnehmung nicht richtig funktionierte. Selmer sagte, es läge an der Verletzung des Parietallappens, die eine sogenannte optische Ataxie verursachte, bei der Arme und Beine die visuelle Wahrnehmung nicht umsetzen können und ich häufig stürzte und räumliche Objekte nicht richtig einschätzen konnte, zum Beispiel Toiletten, Ottomanen, Serviertischchen und Haustiere.
    Enttäuschend, aber nicht so erschütternd wie die Dyskalkulie. Ich hatte während des Genesungsprozesses keinen Anlass, mich mit Mathematik zu beschäftigen, weshalb ich völlig überrascht war, als ich nicht einmal fünf und fünf zusammenzählen konnte. In dem Glauben, es handele sich um Zufall, lachte ich und versuchte mich an anderen Aufgaben, die ich allesamt nicht lösen konnte. Ich erzählte dem Arzt, dass ich die Schule mit Bestnoten in Mathematik verlassen hatte und meinen Lebensunterhalt mit dem Jonglieren von Gleichungen verdiente. Er erklärte mir, dass der dafür zuständige Teil meines Hirns offensichtlich von der Kugel in Matsch verwandelt worden war.
    Der Bewegungsapparat-Experte meinte, ich würde zwar nie den New-York-Marathon laufen, aber nach und nach einen akzeptablen Gang entwickeln, bis die Arthritis zuschlug, die mich, abhängig von genetischen Faktoren, ernsthaft behindern konnte. Ihn mochte ich am liebsten, weil er so direkt und aufrichtig war, was mir trotz meiner augenscheinlich eingeschränkten Affekte nicht entging.
    In der Zwischenzeit hatte sich mein körperliches Erscheinungsbild vollkommen verändert. Durch den starken Gewichtsverlust, die neue Brille, den kahlrasierten Kopf (nach den Operationen war mir das zur Gewohnheit geworden), den nicht mehr vorhandenen Schnauzer und meinen traurigen, deprimierten Gesichtsausdruck sah ich meinem alten Ich überhaupt nicht mehr ähnlich.
    Eigentlich sehr beunruhigend, wenn es mir strategisch nicht so gelegen gekommen wäre. Aber Strategie ist ein viel zu großes Wort. Es war mehr eine Skizze, in der nur die ersten Schritte klar definiert waren. Das war keineswegs mein bevorzugter Ansatz. Ich gehöre zu den Menschen, die gern jeden Zoll einer Reise festlegen, ehe sie den ersten Schritt tun. Aber meine Verletzungen und der Kampf mit den veränderten Lebensumständen kosteten Kraft. Am schlimmsten war die Trauer, die wie eine schwere Decke meinen Verstand erstickte, wie eine üble Droge mein Urteilsvermögen vernebelte und meine Gesundheit bedrohte.
    Ich hatte mich nie in Meditation, Zen oder irgendeinem anderen mentalen Training versucht, das mir vielleicht geholfen hätte, meinen emotionalen Zustand zu kontrollieren. Stattdessen stürzte ich mich förmlich in meine Aufgabe. Ich wurde buchstäblich engstirnig. Äußerst konzentriert und unbeirrbar, verzehrt von einer unerschütterlichen Besessenheit.
    Ich wusste genau, was zu tun war.
     
    In Gerrys Werkstatt umzuziehen war keine perfekte Lösung, aber dadurch konnte ich fort von Evelyn und hatte einen idealen Standort für die nächste Phase. Ich musste nur lernen, weiter zu gehen als bis ins Bad oder zwei Meilen auf dem Laufband.
    Deshalb übte ich weiter, strapazierte meine Ausdauer bis an die Grenze, die sich jeden Tag weiter nach hinten verschob.
    Ich war nicht wirklich bereit, aber fast, und ich beschloss, dass das reichte. Mein erster Ausflug nach draußen fand im Dunkeln statt. Es war früh am Abend, doch der Himmel war mondlos und verhangen. Ich trug einen langen Mantel und meinen leinenen Wanderhut von L.L. Bean, um Glatze, Operationsnarben und Einschusslöcher zu verbergen – mittlerweile kleine, rosafarbene Krater, deren auffälligster links oben auf meiner Stirn saß, in der Nähe meines früheren Haaransatzes. Ich benutzte meine Reha-Krücke, eine Aluminium-Angelegenheit mit dicker Gummispitze und gepolstertem Griff, die zur natürlichen Erweiterung meines Körpers geworden war.
    Ich ging ungefähr einen Block und nahm den Bus in

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