Headhunter
Sehnsucht zu unterdrücken.
Ich
schloss die Haustür auf, zog mir die Schuhe aus und schaltete innerhalb von
zwanzig Sekunden die Alarmanlage ab, bevor bei Tripolis das Warnsignal einging.
Diana und ich hatten lange über den Code diskutiert, bis wir uns schließlich
einig geworden waren. Sie wollte »DAMIEN«, nach ihrem Lieblingskünstler Damien
Hirst, aber ich wusste, dass sie diesen Namen auch unserem abgetriebenen Kind
gegeben hatte, und bestand deshalb auf einer zufälligen Zahlen- und
Buchstabenkombination, die niemand erraten konnte. Sie hatte schließlich
nachgegeben. Wie immer, wenn ich hart gegen hart setzte. Oder besser gesagt,
hart gegen weich. Denn Diana war weich. Nicht schwach, aber weich und flexibel.
Wie Lehm, auf dem selbst der geringste Abdruck Spuren hinterließ. Das
Merkwürdige war nur, dass sie immer größer und stärker wurde, je mehr sie
nachgab, während meine Kraft immer mehr nachließ. Bis sie mich wie ein
gigantischer Engel überragte, ein Himmel aus Schuld, Verpflichtungen und
schlechtem Gewissen. Wie hart ich auch kämpfte, wie viele Köpfe ich nach Hause
brachte, welche Bonuszahlungen ich vom Hauptsitz in Stockholm bekam - es
reichte nicht, um meinen Ablass zu zahlen. Ich ging die Treppe hinauf in den
Wohnbereich mit der integrierten Küche, zog meinen Schlips aus, öffnete den Sub-Zero-Kühlschrank
und nahm eine Flasche San Miguel heraus. Nicht das übliche Especial, sondern 1 5 1 6, das extra milde Bier,
das Diana bevorzugte, weil es aus reiner Gerste gebraut wird. Durch das
Wohnzimmerfenster blickte ich hinunter in den Garten, auf die Garage und zu den
Nachbarn hinüber. Oslo, der Fjord, Skagerrak, Deutschland, die Welt. Und
merkte, dass ich die Bierflasche bereits geleert hatte.
Ich
holte mir noch eine, ging nach unten und zog mich für die Vernissage um. Als
ich an dem verbotenen Zimmer vorbeiging, bemerkte ich, dass die Tür nur
angelehnt war. Ich öffnete sie. Diana hatte frische Blumen neben der kleinen
Steinfigur auf das altarähnliche Tischchen unter dem Fenster gelegt. Der Tisch
war das einzige Möbelstück im Zimmer, und die Steinfigur sah aus wie ein
Kindermönch mit zufriedenem Buddhalächeln. Neben den Blumen standen ein Paar
winzige Säuglingsschuhe und eine gelbe Rassel.
Ich
trat ein, nahm einen Schluck Bier und fuhr mit den Fingern über den glatten,
nackten Kopf der Figur. Es war ein mizuko jizo, eine
Figur, die der japanischen Tradition zufolge abgetriebene Kinder beschützte -
Wasserkinder. Ich hatte die Figur wenige Monate nach der Abtreibung aus Tokyo
mitgebracht, nach einer missglückten Akquise. Diana war damals noch am Boden
zerstört gewesen, so dass ich gehofft hatte, sie damit zu trösten. Der
Verkäufer hatte nur schlecht Englisch gesprochen und ich hatte nicht alle
Details verstanden, aber der Grundgedanke war wohl, dass die Seele eines sterbenden
Fötus in sein Urelement zurückgeht, das Wasser, zu einem Wasserkind wird und
dort - mischt man ein bisschen japanischen Buddhismus dazu - auf seine
Wiedergeburt wartet. In der Zwischenzeit vollführt man sogenannte mizuko
kuyo, Zeremonien und einfache Opferungen, die die
Seele des ungeborenen Kindes beschützen und gleichzeitig die Eltern vor seiner
Rache bewahren. Den letzten Teil habe ich Diana nie erzählt. Anfangs freute ich
mich, sie schien wirklich Trost in der Steinfigur zu finden. Doch als ihr jizo mit der Zeit zu einer Besessenheit wurde und sie ihn sogar
im Schlafzimmer haben wollte, musste ich einen Schlussstrich ziehen. Ich
verbot ihr sogar, der Figur noch einmal zu opfern oder sie anzubeten, bin aber
natürlich nicht hart geblieben. Zu gut wusste ich, dass ich Diana verlieren
konnte. Und das durfte nie geschehen.
Ich
ging in mein Büro, schaltete den PC ein, ging ins Internet und suchte, bis ich
ein hoch aufgelöstes Bild von Edvard Munchs »Die Brosche« gefunden hatte, das
häufig auch unter dem Titel »Eva Mudocci« geführt wurde. 350000 Kronen auf dem legalen
Markt. Sicher nicht mehr als 200000 auf meinem. 50 Prozent
an den Hehler, 20 an
Kjikerud. 60 000 für
mich. Das war immer so, kaum der Mühe wert, und sicher nicht das Risiko. Das Bild
war schwarz-weiß. 58x45 cm.
Es passte gerade noch auf ein A2 -Blatt. 60000. Nicht
einmal genug, um die vierteljährliche Rate für das Haus zu begleichen. Und viel
zu wenig, um das Defizit der Galerie zu decken, das auszugleichen ich unserem
Steuerberater versprochen hatte. Noch im November. Aus irgendeinem Grund
verging inzwischen auch immer mehr
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