Heart beats sex
äußeren Pomp einer Hochzeit anging, war ich für das Mittelalter, und das reicht in Spanien bis in die Zeit Francos, sogar noch weiter zurück. Man mag darüber denken, wie man will, aber der Adel, der in den Hochzeiten steckt, gefällt mir. Ich finde, eine Hochzeit soll nicht bloß Ausdruck von Liebesleidenschaft sein, sondern auch von der Bereitschaft, tugendhaft der Familie gegenüber zu sein.
Meinen Vokabeln nutzte die Hochzeit, denn ich war wie mit neuem Feuer erfüllt. Kein einziges Mal, seit ich hier war, lernte ich so bereitwillig und schnell Spanisch. Am meisten gefiel mir das Wort compromiso. Es bedeutet nicht nur guter Vorsatz, sondern auch Heiratsantrag.
»Das Jawort?«
»Sí quiero.«
»Der Ehering?«
»El anillo de boda oder la alianza.«
Ich stand nervös vor Anna, meine Hände schwitzten, und das nicht nur, weil es ein heißer Juninachmittag war. An mir hing ein dünnes langes T-Shirt herunter, das Papi mir vermacht hatte, weil er die Aufschrift hasste.
Anna saß hinter ihrem blauen Glastisch und meinte mit Blick auf mich: »Vielleicht der falsche Spruch.«
»Wieso?«
»Sollte vielleicht heißen, in meinem Alter habe ich nichts gesehen, nichts gehört, nichts getan und kann mich trotzdem an nichts erinnern.«
Ich lächelte, als würde ich über einen guten Witz schmunzeln.
»Der Tanz?«
»El baile.«
»Singen?«
»Cantar.«
Sie hatte sich vor kurzem einen drehbaren Chefsessel in schwarzem Leder gekauft, der gesünder für den Rücken sein sollte. Für sie war dieses schwarze Lederding zu groß, ihre Füße baumelten in der Luft, aber sie schien es zu genießen. Ihre Arme ruhten sich breit auf den Lehnen aus und wie zu einem inneren Rhythmus schwang sie leicht von links nach rechts, von rechts nach links. Ich fühlte mich eingeschüchtert, denn sie sah so selbstsicher aus, hatte nichts zu verlieren, selbst das, was sie hatte, schien ihr nichts wert. Ich hingegen freute mich schon seit Wochen auf diese Party und wollte nichts riskieren.
»La boda oder las nupcias – was denn nun?«
»Heutzutage sagt man la boda.«
Ulya wollte mich um zehn abholen, und wir würden dann erst zu ihr fahren, damit sie mich herausputzen konnte, denn Hank sollte beim ersten Blick erstarren, hatten wir beschlossen.
»Hofknicks?«
»La cortesía.«
»Unschuld?«
»Inocencia.«
Der Sommer hatte mich mit goldener Bräune überzogen und mein Haar oben ausgebleicht. Ich hatte mich schon für
ein weißes Kleid von Ulya entschieden, die Farbe der Hochzeit, die meine Haut noch brauner wirken lassen würde. Der Lohn meiner heimlichen Sonnenstunden, die ich immer unaufällig an die Tibeter ranhängen konnte.
»Das Hochzeitsmahl?«
»El banquete nupcial.«
Obgleich mein Kopf voller tanzender Bilder war, konnte ich alle Vokabeln ohne weiteres übersetzen. Ein Wunder.
»Lachen?«
»Sonreír.«
16. Kapitel
I ch war so guter Stimmung, dass ich im Auto weiter meine zweihundert Vokabeln aufsagte. Ulya fiel mit ein, wir sangen die Worte – Singen, cantar /das Lied, la canción / die Braut, la novia /der Bräutigam, el novio –, und es klang wie ein Jubel, in dem sich in dieser Nacht all unsere Wünsche erfüllen würden.
Bei Ulya im Schrank blätterte ich die Kleider wie die Seiten in einem Buch um. Eines schöner als das andere. Ulya ließ den Korken knallen und goss Cava ein. Sie hatte die Schule erfolgreich abgeschlossen, und ich feierte meine Freiheit. We are the champions! Ich suchte für mich ein knappes, elegantes weißes Kleid heraus. »Einfach und sexy«, stimmte Ulya zu. »Ein Geschenk von Adrian.«
»Oh, dann zieh ich es nicht an.«
»Doch, warum nicht, er hat es mir geschenkt, und es gehört mir wie die anderen auch.«
»Wo ist er?«
»In Kopenhagen. Eine Party im Königspalast.«
»Uff. Warum bist du nicht mit?«
»Die Party ist erst morgen, und da hat mein Daddy Geburtstag. Deswegen fliege ich morgen auch nach London. Sheila fährt mich zum Flughafen.«
»Wo ist sie?«
»Sie ist heute in Barcelona bei ihrer Tante. Die ist dort Ärztin. «
Der Weg zur Party war von bunten Luftballons markiert, der Vorplatz war voller Autos, das Haus mit weißem Stoff dekoriert und von irgendwoher klang Musik. Jeder rhytmische Schlag der Musik drang bis zu meinem Herzen und ließ es pochen. Immer stärker konnte ich es spüren, und die Aufregung floss in all meine Zellen. Ein ähnliches Gefühl wie vor einem Wettlauf. Früher in Berlin nahm ich auch oft an solchen Langwettläufen Teil. Ich bekam immer
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