Heart beats sex
Erinnerungen eingewickelt. Der scharfe Geschmack brachte mir die Gefühle wie an einer langen Kette zurück, die ich an ihrer Seite und in ihren sicheren warmen Händen gehabt hatte. Wenn sie mir ihre liebevollen Texte ins Ohr flüsterte oder den Lakritze-Figuren Namen gab, geriet ich in Trance. Wenn sonst jemand mir etwas ins Ohr flüsterte, kitzelte es, aber Mamis Stimme wirkte wie ein wundervoller himmlischer Klang, der mich zum Schweben brachte. Es war etwas, das niemand sonst mir geben konnte. Einen Moment ohne Angst. Als ich noch bei ihr lebte, waren diese Situationen nicht selten, viele solcher Erinnerungen besaß ich, doch mit meinem endgültigen Umzug nach Ibiza hatte sich dieser Zauber verflüchtigt.
Wenn ich so alleine war wie jetzt, stellte ich mir vor, ich würde sie bitten, mich zu umarmen, mir den Kopf zu streicheln oder mir etwas vorzulesen. Ich wusste, sie würde es tun, auch jetzt noch, nachdem ich siebzehn war. Aber die kindliche Geborgenheit konnte ich auf diese Art nicht mehr erlangen.
Manchmal fragte ich mich, ob ein Mann mir das Gleiche geben könnte.
Ich schloss die Mail und schaute mir Fotos von Mami an, die ich auf dem Rechner hatte. Es waren alte Bilder, die sie zeigten, wie sie mit den Babys unterwegs war. Ich wollte den Trost, ich wollte mir das Herz wärmen, ich starrte ihr blondes gesundes, volles Haar an, die reine Haut, ihr Lächeln, ihre Ohren, die Zähne. Was sie schön machte, war nicht die Symmetrie ihres Gesichtes, nicht die vollen Lippen, sondern ihre Jugend, ihre Entspanntheit und Sicherheit, die sie ausstrahlte. Es war die Liebe, die sie in sich trug. Zu uns? Zu Papi?
Sie hatte etwas durch und durch Ruhiges. Diese Ruhe war wie ein Ei, das sie umhüllte. Es war ihre Aura. Diese Ruhe wurde von allem betont, sogar noch von ihrer nordischen
Blässe und der Unschuld, die sie im Gesicht trug. Es war die Unschuld eines Kindes. Das bestätigte mir sogar Papi, als er erwähnte, dass sie siebzehn war, als sie mit Justin schwanger wurde. So alt wie ich jetzt!
Es war mir entgangen, dass Anna in der Tür stand und mich beobachtete, aber jetzt merkte ich, dass ich geweint hatte.
»Ist alles okay mit dir?«
Ich nickte, und sie sagte:
»Mir ist eben etwas eingefallen. Und ich dachte, wenn du immer eifrig lernst und die Prüfungen gut bestehst, sollte dein Vater dir als Belohnung eine Party spendieren. Wie fändest du das?«
Ich wusste nicht, wie ich das finden sollte, dieser Vorschlag aus ihrem Mund kam mir sehr fremd vor.
»Natürlich dürftest du dich schminken. Und anziehen, was du möchtest.«
15. Kapitel
P arty, Party, Party. Ich wollte zwar keine Party selbst veranstalten, schon gar nicht bei mir zu Hause, aber ich wollte zu einer Hochzeitsparty, die von Ulya extra auf Annas Vorschlag hin ausgesucht worden war. Sie hatte mich auch angetrieben, für die Prüfungen zu lernen, damit alles klappte.
Es klappte. Ich hatte die Prüfungen alle gut genug bestanden, so dass es für Annas Partyzusage reichte. Doch in unmittelbarem Anschluss musste ich mit der Vorbereitung für den Spanischkurs beginnen, den ich für das kommende Jahr belegt hatte. Anna erlaubte zwar, dass ich zu der Hochzeitsparty ging (»versprochen ist versprochen«), aber weil ich in Mathematik und Physik nur gerade so bestanden hatte, stellte sie zusätzlich die Bedingung, vorher zweihundert spanische Vokabeln zu lernen.
Es waren noch vier Stunden bis zu der Party, und Anna hörte mich bereits zwanzig Minuten lang ab. Sollte ich zehnmal die Antwort schuldig bleiben, würde ich nicht gehen dürfen. »Das ist eine erlaubte Fehlerquote von fünf Prozent«, hatte sie mir vorgerechnet.
Hochzeit – la boda? Oder las nupcias?
War es ein gutes oder schlechtes Omen, dass die nächste Lektion sich mit einer spanischen Hochzeit befasste?
Ich hatte die Illustrationen im Buch vor Augen (visuelles Gedächtnis!): die Braut im weißen Kleid mit Schleppe, der Bräutigam im weißen Anzug, die Blumenkinder alle in Weiß,
danach der lange Zug der Gäste in allen Altersklassen, das Jawort in der riesigen Kathedrale. Eine Hochzeit in Spanien lebt von der Tradition, jedenfalls in den Kreisen, in denen man sich Hank Schneider als DJ leisten kann. Und das war die Hochzeit, zu der Ulya und ich wollten. Hank machte dort die Musik.
In Spanien wären Hanks Musik und die großen Partys zur Zeit des Diktators Franco verboten gewesen, und daher waren von Ulya bis zu den Buntkleidern in der Schule alle für die »neue Zeit«. Was aber den
Weitere Kostenlose Bücher