Heaven - Stadt der Feen
»Macht nichts. Hauptsache, du lässt mich nicht allein.«
David schüttelte den Kopf. »Was für eine seltsame Nacht.«
Heaven sagte nur: »Sehe ich auch so.«
Dann erreichten sie ihr Ziel.
Das St. Mary Abbot’s Hospital befand sich in der Marlose Road, südlich der Kensington High Street, keine fünf Minuten von der nächsten U-Bahn-Station entfernt. Es war ein mächtiges Bauwerk, das den Zweiten Weltkrieg und die Jahre danach überstanden hatte. Seine Fassade aus roten Steinen mit den vielen spitzen Türmen und breiten Erkern wirkte einschüchternd. David fand immer, dass es aussah, als hätte die Addams Family ein Krankenhaus gebaut. Efeu rankte sich an den Mauern empor. Grelle Lichter flackerten hinter den Fenstern.
Die Notaufnahme lag im Westflügel.
David übernahm die Formalitäten. Er konnte Lügen auftischen, wenn er nur wollte, früher hatte er viel Gelegenheit dazu gehabt. Mike hatte ihn oft genug vorgeschickt, er behauptete immer, David hätte das perfekte Pokerface.
Seiner Freundin sei nicht gut, behauptete er. Sie litt unter Schwindelgefühlen. Ja, sie war gesund. Nein, sie hatte diese Beschwerden sonst nie. Nein, sie nahm keine Drogen und, nein, er selbst auch nicht.
David hasste Krankenhäuser. Die Leute, die dort arbeiteten, erweckten nicht selten den Eindruck, als wollten sie als Letztes auf der Welt mit Kranken zu tun haben.
Die Frau an der Rezeption war da keine Ausnahme. Sie hockte hinter dem flackernden Bildschirm, verzog den Mund zu einem säuerlichen Lächeln und schob David miteinem entnervten Blick ein Formular mit vielen Zeilen und Spalten zum Ankreuzen zu, das er ausfüllen solle.
Es war warm hier drinnen. David knöpfte sich die Jacke auf und begleitete Heaven zu einer Reihe von Stühlen. Sie setzten sich. Heaven hielt untätig das Anmeldeformular in Händen und tat so, als würde sie es ausfüllen.
Die Notaufnahme war nicht viel mehr als ein langer Gang, der zu beiden Seiten von Stuhlreihen gesäumt wurde. Eine starke Neonbeleuchtung tauchte alles in unwirkliches Licht und ließ die Menschen, die dort warteten, noch kränker wirken, als sie es ohnehin schon waren.
Es gab Schnittwunden, Knochenbrüche und Junkies, die einfach nur einen Platz für die Nacht suchten. Es war viel los, selbst um diese Uhrzeit. Die Stadt schlief eben nie. Stimmengewirr füllte den Gang und die wenigen Ärzte und ihre Kompanie von Pflegern und Schwestern und Assistenzärzten rannten gehetzt zwischen dem Gang und den Behandlungszellen hin und her. Es wurden Anweisungen geschrien und Apparate umhergeschoben. Es roch nach Elend und Desinfektionsmitteln.
Heaven rutschte mit ihrem Stuhl nah an David heran und legte ihre kalte Hand auf seine. Sie zitterte.
Dann verdrehte sie die Augen und kippte zur Seite. Ihr Stuhl stürzte um und ihr Körper blieb bebend am Boden liegen.
»Verdammt«, fluchte David.
Ein Assistenzarzt und eine Krankenschwester kamen angerannt, packten sie und hoben sie in einen Rollstuhl. Sie maßen ihr den Blutdruck, taten dies und das, schauten ihr in die Augen, fühlten den Puls, alles sehr schnell und hektisch.David hatte nicht die geringste Ahnung, was genau sie da mit Heaven anstellten. Doch dann hielt der Assistenzarzt plötzlich inne. Er führte das Stethoskop erneut an ihren Brustkorb. Die Krankenschwester prüfte den Puls. Beide sahen einander an.
»Was ist los?«, fragte David.
Sie starrten ihn an, als sei er ein Geist.
»Warum starren sie mich so an?«
Der Assistenzarzt sagte: »Ich finde keinen Herzschlag.«
David spürte, wie ihm die Luft wegblieb. »Was?«
»Sie haben mich richtig verstanden.«
Assistenzarzt und Krankenschwester tauschten Blicke. »Kann es sein . . .?«
»Kann was sein?«, fuhr David die beiden an. Etwas war hier so richtig faul und das war alles andere als gut.
Der Assistenzarzt grübelte, ohne David aus den Augen zu lassen. »Ich weiß nicht.« Der Krankenschwester zugewandt flüsterte er: »Wir sollten unbedingt Dr. Laurie hinzuziehen.«
»Was hat sie denn? Was fehlt ihr genau?« David trat einen Schritt näher und legte der leblosen Heaven eine Hand auf die Schulter. »Hey, würden Sie vielleicht die Freundlichkeit besitzen, mit mir zu reden?« Den letzten Satz brüllte er fast.
»Ich rufe nach Dr. Laurie«, sagte der Assistenzarzt und lief den Gang hinab zu einem Telefon. »Füllen Sie das Formular aus.«
Die Krankenschwester blieb.
David berührte Heavens Wangen. Sie waren eiskalt.
»Wo kommt ihr her?«, fragte die
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