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Heaven - Stadt der Feen

Heaven - Stadt der Feen

Titel: Heaven - Stadt der Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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gewiss.

15. Kapitel

Eiseskälte
    D ie Stadt war wie Eis, so glatt und schimmernd an der Oberfläche, doch kalt und trügerisch im Inneren. Schneeflocken wehten durch die Luft, zahlreicher und dichter als in den letzten Stunden. Die Autos fuhren hektischer, die Passanten eilten missmutiger als sonst in die Geschäfte, die Tauben versteckten sich in den Nestern, hoch oben unter den Dächern.
    Und genau dort rannten David und Heaven. Heaven war wie immer schneller als David und er verfluchte die rutschigen Chucks, die das Vorwärtskommen zu einer Schlitterpartie machten.
    Auf dem Weg zu den Dächern waren sie an einem Burger-Imbiss vorbeigekommen und hatten stumm und wie gelähmt Mr Mickeys Bild im Fernsehen gesehen. Es war ein älteres Bild, das irgendjemand in irgendeinem Sommer aufgenommen hatte. Heaven schaute schnell weg, als es über den Bildschirm flimmerte. Seitdem hatte sie nicht mehr gesprochen, sondern nur noch stumm nach vorn geschaut. Ihre Lippen waren aufeinandergepresst und sie wirkte so beherrscht, dass nur eine einzige Berührung ihre Rüstung würde zerbrechen können.
    David kannte dieses Gefühl.
    Es gab nichts mehr, das hinter ihr lag. Alles, was dort gewesen war, war verschwunden und hatte Erinnerungen Platzgemacht, vor denen man wegrennen wollte wie vor einem wilden Tier, jeden Tag und jede Stunde, bis man weit gelaufen war, um das Schnaufen der Bestie nicht mehr zu hören.
    David konnte sich gut vorstellen, wie Heavens Bestie aussah: Ihre Augen waren die Fenster des Anwesens in Richmond, warme Lichter leuchteten hinter ihnen und erzählten Geschichten von vergangenen Zeiten. Die Bestie fauchte mit der gleichen Stimme, mit der Mr Mickey zu ihr gesprochen hatte. Im kehligen Raunen der Bestie hörte sie die leise geflüsterten Worte des Trostes, die Mr Mickey ihr geschenkt hatte, als sie sich geweigert hatte, auf den Friedhof zu gehen. Im Scharren ihrer Krallen verbarg sich die Zeit, die wie ein Feuer wütete und Haut, Herz und Verstand zerkratzte.
    Entschlossenheit, das war es, was jetzt in Heavens Augen zu lesen war. Das Einzige, das sie tun konnten, war, nach Little Venice zu laufen. Julian war noch da und Eve lebte. Zwei Menschen, die Heaven nicht verlieren wollte, waren noch nicht verloren.
    »Es könnte eine Falle sein.«
    »Wenn es nötig ist, gehe ich allein dorthin.« Ihre Worte hatten unnachgiebig geklungen.
    »Das könnte dir so passen.«
    Das waren die letzten Worte gewesen, die sie gewechselt hatten.
    Polternd waren sie dann das Treppenhaus am Phillimore Place Nr. 18 hinaufgerannt, durch die Luke gestiegen, aufs Dach geklettert, um die Pfade hoch über der Stadt zu benutzen, fernab der tosenden Menschenmassen, die langsam damit begannen, ihre Büros und Läden in dem Labyrinth, dasLondon ist, zu verlassen und auf die Bahnhöfe und die enge U-Bahn zuzusteuern.
    Vor ihnen tauchte ein neuer Häuserblock auf, das Dach lag deutlich tiefer als das, auf dem sie gerade liefen, und der Zwischenraum schien David zu groß zu sein, als dass man ihn gefahrlos überspringen konnte.
    Heaven zögerte nicht eine Sekunde. Sie verlängerte ihre Schritte, dann stieß sie sich ab. Für einen Moment flog sie durch die Luft, ein schwarzer Pfeil, zielgerichtet, durch nichts aufzuhalten. Wie eine Katze kam sie auf dem tieferen Dach auf und rannte auch schon weiter.
    David biss die Zähne zusammen. Alle Warnlampen leuchteten auf, doch er dachte nicht an Stürze in die Tiefe, an glitschiges Metall und eisige Fallwinde. Normalerweise hätte er irgendein Hilfsmittel benutzt, einen Stab, eine verbogene Antenne, etwas in der Art. Doch dazu fehlte ihm die Zeit, zumal Heaven immer weiterpreschte.
    Er sprang, spürte, wie es ihn über den Abgrund wehte, wie die Tiefe nach seinen Beinen griff. Der Moment schien Stunden zu dauern, dann spürte er den Aufprall. Er stürzte, rollte über das Dach wie ein Torwart von Manchester United, rappelte sich auf, kam auf die Füße. Jeder Muskel schmerzte.
    Er atmete durch.
    Heaven hielt kurz an. »Wir müssen weiter«, sagte sie. »Bitte.«
    David nickte. Bloß nicht daran denken, was in der Zwischenzeit alles passieren konnte, auf dem Boot in Little Venice. David sah Mr Mickey vor sich, wie er ihn getroffen hatte, ein einziges Mal. David war misstrauisch gewesen,hatte gedacht, der Butler würde sein eigenes Spiel spielen. Dabei hatte er immer nur Heaven im Sinn gehabt, davon war David jetzt überzeugt. Es hatte ihn das Leben gekostet.
    Er setzte sich in Bewegung, ignorierte den

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