Heavy Cross
darüber Bescheid wissen, was in einem vorgeht, als man selbst, ist das einfach zu viel. Es machte mich wahnsinnig wütend. Heute ist für Homosexuelle vieles besser geworden, sogar in Arkansas. Meine kleine Schwester läuft heute durch die Gänge derselben Schule und prahlt damit, was für eine leidenschaftliche Bisexuelle sie doch sei. Aber so groÃspurig war ich nicht. Ich musste nur daran denken, was Mr. Skate in Funtime Skateland passiert war, und schon wollte ich mich verkriechen und meine ganze Homosexualität unter einem Berg von Babys begraben.
Funtime Skateland war eine Rollschuhbahn. Es hieÃ, Mr. Skate, der Betreiber, sei schwul. Er war sehr weibisch, rund und kahl, ein netter Mann mit einer lieben Ausstrahlung. Alle Kinder mochten ihn wirklich sehr. Wir liebten Funtime Skateland. Am Rand der Bahn befand sich die Kabine für den DJ. Wenn man dort hinrollte, um sich etwas zu wünschen, sprang die Nadel auf dem Vinyl, und der DJ sah einen böse an. Ich erinnere mich, dass wir meinen zehnten Geburtstag dort feierten und wahnsinnig viel Spaà hatten. Das war der beste Geburtstag meines Lebens. Man konnte dicke, fette Dillgurken kaufen, sie waren matschig und sauer, und der Salzessig spritzte einem bei jedem Bissen in den Mund. Aber Anfang der Neunziger wurde die Bahn geschlossen, weil man den Besitzer beim Cruising erwischt und ins Gefängnis gesteckt hatte.
Falls es jemand nicht weiÃ: Cruising ist eine bei vielen schwulen Männern beliebte Freizeitbeschäftigung. Man sucht einen bestimmten Ort, einen Park oder eine öffentliche Toilette auf und hat Sex mit Fremden. Das gibt es in groÃen Städten ebenso wie in kleinen, auf der Herrentoilette von Macyâs in San Francisco ebenso wie in den Fenway Victory Gardens in Boston. In den Vereinigten Staaten gibt es viel zu viele Raststätten, um sämtliche Cruising Areas aufzuzählen. Mr. Skate wurde im Berryhill Park beim Cruising erwischt, wo sich Männer im Schein der Weihnachtsbeleuchtung mit anderen Männern trafen, um Sex miteinander zu haben.
Zu der Zeit war Judsonia nicht der einzige Ort in den USA, wo man als erwachsener Mann für seinen alternativen Lebensstil verurteilt werden konnte.
Aber wenn man sieht, was 1991 in Städten wie San Francisco, Chicago oder Olympia in Washington State los war und wie die Riot-Grrrl-Bewegung und Homocore-Punk den Mainstream beeinflusst haben ⦠seitdem hat sich einiges verändert, und wir genieÃen jetzt die positiven Auswirkungen. Ãberall im ganzen Land setzten sich Menschen für eine bessere Welt ein, sie protestierten gegen Diskriminierung und Gewalt gegenüber Randgruppen. Die feinen Schwingungen erreichten sogar das tiefste Arkansas, berührten die Gemüter der Menschen, und tatsächlich veränderte sich etwas. Es war unsere Version der 60er-Revolution, eine lose Verbindung junger Menschen, die den nihilistischen Fashion-Punk der Achtziger ablehnte und eine neue Punkbewegung im Auge hatte, die Frauen, Homosexuelle und Gemeinschaftswerte einbezog. Die Vorstellung, dass Frauen Gitarre spielen konnten und ins Mikro plärrten, war eine Offenbarung zu der Zeit. Diese Offenheit in musikalischer Hinsicht übertrug sich auch auf das Leben an sich. Jemand schrieb eine politische Zeile in einem Song, ein anderer schickte ein Fanzine hinaus in die Welt, wieder andere richteten eine Anlaufstelle für Mädchen ein, die dort hingehen und zum ersten Mal über die Gewalt sprechen konnten, die ihnen angetan wurde. Das waren bloà Kleinigkeiten, aber sie fanden Anklang und beeinflussten Menschen, die wiederum andere mit ihrer Einstellung wie mit einem gutartigen Virus ansteckten: Alle kämpften dafür, dass sich in ihrem kleinen Teil der Welt etwas änderte, und diese kleinen Fortschritte fügten sich wie ein Puzzle zu etwas GröÃerem zusammen.
ZWÃLF
12
EINES MORGENS ZU SCHULBEGINN â ich hatte noch Schlaf in den kajalumrandeten Augen, weil ich so früh aufstehen musste, um mich den weiten Weg von Georgetown zur Schule zu schleppen â erzählte mir jemand von Dean.
Ein Mädchen packte mich. »Hast du schon gehört? Dean wurde wegen Vergewaltigung verhaftet.« War ich so verschlafen, dass ich mich verhört hatte? »Was?«
Dean verhaftet? Wegen Vergewaltigung? Die Rede war von meinem Cousin.
Das Problem war, dass sexueller Missbrauch in meiner Familie so weit zurückreichte, dass man
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