Heavy Cross
sie sich einen Ruck und kam mit.
Von der Spielhalle aus zogen wir weiter zu Jeri nach Hause. Bis zu diesem Abend hatte ich mich nie darum gekümmert, was andere von mir hielten. Ich war aufgeregt und ängstlich zugleich. Ich wusste, dass dies die coolsten Leute waren, denen ich je begegnet war, und ich wollte von ihnen gemocht werden. Wirklich, absolut und unbedingt! Ich musste mir groÃe Mühe geben, die Fassung zu bewahren, wollte aber nicht übertrieben cool wirken â ich wollte, dass sie merkten, dass ich sie mochte, aber auch nicht zu sehr. In meinem Kopf drehte sich alles. Da war Jeri, Jennifers möglicherweise insgeheim schwuler Freund. Dann noch Nathan, den ich mit seiner Punkband spielen gesehen hatte. AuÃerdem Kathy, ein echtes Stadtkind. Knallhart. Kathy wohnte in Searcy, was im Vergleich mit Judsonia eine richtige Stadt war. Alle paar Wochen erklärte meine Mom: »Ich fahre in die Stadt«, womit Searcy gemeint war. Sie sagt das heute noch so. Ich fuhr für mein Leben gern in die Stadt, und Kathy wohnte sogar dort.
Im Zentrum von Jeris unaufgeräumtem Zimmer befand sich sein Computer. Jeri war ein irrer Computerfreak. Und ist es noch. Er hatte ein Computerprogramm, mit dem man Bilder von Gesichtern grotesk verzerren konnte. Das war zum Schreien komisch. Die drei kannten mich überhaupt nicht und waren sehr unhöflich zu mir! Sie machten ein Bild von mir und verzerrten es monströs, machten sich hinter meinem Rücken über mich lustig. Sie schüchterten mich tierisch ein. Dann machten zerfledderte Fanzines aus Jeris Sammlung die Runde. Ich hatte noch nie von Fanzines gehört, den Heften, die Jugendliche wie wir selbst herstellten, randvoll mit allem Möglichen, für das sich der Herausgeber zufällig gerade interessierte, mit seinen Zeichnungen und seinem Geschreibsel, oder einigen Interviews, die er mit seinen Lieblingsbands geführt hatte. Die Texte wurden handschriftlich hingekritzelt oder in die Schreibmaschine gehackt, anschlieÃend kopiert, zu einem Heft zusammengetackert und in die Welt verschickt. Man tauschte untereinander Fanzines aus, aber wenn man in Arkansas wohnte, bekam man sie nur über Mailorder, ebenso wie Musik und Klamotten. Als ich Jeris Fanzine-Sammlung sah, war ich überwältigt von der Fülle an Riot-Grrrl-Material. Er besaà eine Schatztruhe mit allem, was mir etwas bedeutete. Meine Träume waren auch die jener Menschen, die all das zu Papier gebracht und in die Welt hinausgeschickt hatten. Ich hätte die ganze Nacht dort sitzen und die Nase in Jeris Sammlung stecken können, aber ich wollte, dass meine neuen Freunde dachten, ich sei damit genauso vertraut wie sie selbst.
Jeri hatte einen Plattenspieler und viele Platten. Also gab er den DJ, während die anderen sich unterhielten, Namen von Bands erwähnten, von denen ich noch nie etwas gehört hatte, und sich über Witze kaputtlachten, die ich nicht sonderlich lustig fand, weil sich mir ihre Pointen nicht ganz erschlossen, die ich aber trotzdem auf irgendeine Weise völlig verstand.
Sie waren sehr kreativ, alle zeichneten. Sie waren die coolsten Leute, die mir bisher begegnet waren. Und sie waren erst kürzlich den christlichen Jugendgruppen entflohen, in die so viele ungefragt gesteckt wurden. Sobald sie alt genug waren, um selbst zu denken, hatten sie sich davongemacht. Nichtsdestotrotz hatten diese kirchlichen Freizeitprogramme ihre Spuren bei ihnen hinterlassen. Sie waren irgendwie asexuell. Alle hatten Erfahrungen mit Inzest und Angst vor Sex â und irgendwie wirkte das auf mich wie eine seltsame Punkrock-Haltung. Wenn Punk sich gegen die herrschende Kultur richtete, dann war eine asexuelle Einstellung auf jeden Fall Punk, weil die Kultur, die mein Leben bis dahin geprägt hatte, eine sehr unangemessene und missbräuchlich sexuelle gewesen war. Meine neuen unfreundlichen Freunde tranken nicht, nahmen keine Drogen und rauchten nicht. Ich versteckte meine Zigaretten vor ihnen und verschwieg auch meine Erfahrungen mit Pot, weil alle Marihuana total uncool fanden. Bevor ich sie kennenlernte, hatte es mich nicht interessiert, was andere über meine Angewohnheiten dachten. Doch jetzt war mein ganzer Körper ob des Verlangens, ihnen zu gefallen, total angespannt. Ich lachte über all ihre Witze. Was ihnen im Laufe eines Abends so alles über die Lippen kam, war unglaublich! Sie rissen keine Witze über Schwule, Schwarze oder
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