Heavy Cross
anderen Leuten hielt sie sich weiterhin mit solchen ÃuÃerungen nicht zurück. Ab meinem zwölften Lebensjahr musste ich mir nicht mehr anhören, dass ich abnehmen solle, stattdessen sagte sie nette Sachen über mich. Sie fand gut, dass ich singen konnte, und unterstützte mich. Und aus einer Do-it-yourself-Haltung heraus erteilte sie mir sogar Gesangsunterricht.
Ich kam zu dem Entschluss, das Singen zu meinem Beruf, zu meinem Lebensinhalt zu machen. Ich überlegte, dass ich vielleicht als Chorleiterin arbeiten könnte. Das war zwar nicht so glamourös, wie Sängerin in einer Band zu sein, aber ich würde immerhin die ganze Zeit singen dürfen. Darauf wollte ich nicht verzichten, weil es das Einzige war, was ich gut konnte. Haare machen und singen. Für nichts sonst wurde ich gelobt. Tief in meinem Herzen wusste ich immer, dass ich singen wollte, auch als alle um mich herum sagten, das sei nichts für dicke Mädchen, und auch als ich meine Stimme hasste, weil sie zu voluminös und überwältigend war.
Von dem Tag an, als ich mir zusammen mit Jeri die Talkshow angesehen hatte, änderte ich meine Meinung über mich selbst. Wenn meine Mutter Bemerkungen über dicke Frauen und über ihren eigenen Körper machte, bat ich sie darum, nicht so negativ über sich selbst und andere zu sprechen, und zukünftig unterlieà sie solche Sprüche. Mein Freund Anthony war auch dick, deshalb unterstützte er mich sowieso. Ich beschloss, nach der langen Zeit, in der ich eine von Abneigung erfüllte Beziehung zu meinem Körper besaÃ, nur noch Freundschaften mit Leuten aufzubauen, die eine positive Einstellung zum Dicksein hatten.
Eines Abends telefonierten Jennifer und ich bei ihr zu Hause mit Jeri. Es war kein Ferngespräch wie von Georgetown aus. Ich freute mich, einfach drauflosplappern zu können, ohne dass wir uns Sorgen machen mussten, von Erwachsenen dabei erwischt zu werden, wie wir die Telefonrechnung in die Höhe trieben. Jennifer wurde langweilig, also ging sie ins Wohnzimmer, um fernzusehen, ich blieb in der Küche. Aus dem Nebenzimmer hörte ich künstliches Gelächter aus dem Fernseher, das mich übertönte. Ich fragte ihn einfach. »Jeri, bist du schwul?«
»Ja.« Ich erinnere mich, dass das Wort »Schwuchtel« fiel, und Jeri meinte: »Schon okay, du kannst mich ruhig so nennen.« Ich dachte darüber nach, ob ich Jeri als Schwuchtel bezeichnen durfte, wo doch so viele Typen mit diesem Wort ständig in der Schule um sich warfen. War es etwas anderes, wenn ich ihn jetzt so nannte? Aber wenn eine »Schwuchtel« zu sein bedeutete, so zu sein wie Jeri â schick, tuntig und lustig, sensibel und verliebt in Jungs â, dann war er eine. Das waren alles gute Eigenschaften, und deshalb war »Schwuchtel« ein gutes Wort. Jeri hatte alles Mögliche darüber in den Fanzines gelesen, die er sammelte: Jungs bezeichneten sich selbst als Schwuchteln, werteten so das Schimpfwort auf und stieÃen damit die Schwulenhasser vor den Kopf. Es war eine wunderbare Sprachrevolution. Er weigerte sich ganz einfach, eine Schwuchtel zu sein als etwas Schlechtes anzusehen, genauso wie ich mich weigerte, fett zu sein als etwas zu betrachten, für das man sich schämen müsse.
»Okay, du Schwuchtel«, sagte ich und versuchte, nicht zu laut zu sprechen. Ich war froh und hatte gleichzeitig Angst. Angst um ihn und Angst um mich. Aber ich war auch erleichtert und fühlte mich ihm näher. Ich dachte nur: »Ja, Jeri hat mich gefunden, und ich habe ihn gefunden. Jetzt können wir uns zusammen um diesen ganzen Homoscheià kümmern.« Er hatte es auÃer der stillen Kathy, die Geheimnisse ausgezeichnet für sich behalten konnte, nie jemandem erzählt.
Kurz danach gestand Jeri es auch Jennifer. Es muss eine Erleichterung für sie gewesen sein, endlich zu verstehen, weshalb ihr Freund sie nie hatte küssen wollen. Sie trennten sich, und Jennifer blieb auf der Strecke, während wir immer engere Freunde wurden.
Eines Abends versuchte sie, Anthony zu küssen, während ich gerade in ein Gespräch mit Jeri vertieft war. Das war das endgültige Ende meiner Freundschaft zu Jennifer. So verwirrend das alles war â und das war es â, eines stand trotzdem fest: nämlich dass man nicht versucht, den Freund seiner besten Freundin zu küssen, auch dann nicht, wenn sie eine verhinderte Lesbe
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