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Heavy Cross

Heavy Cross

Titel: Heavy Cross Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ditto Beth
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WUNDERBAR MEIN NEUES LEBEN mit meiner selbst gewählten Familie war, so schrecklich erschien mir die abrupte Wende, die es in meinem letzten Jahr auf der Highschool nahm. Kathy, Nathan und Jeri waren alle älter als ich und gingen nicht mehr zur Schule. Es kam, wie es kommen musste – sie verließen Arkansas.
    Kathy zog als Erste weg, um aufs College zu gehen. Sie war in der Schule immer motiviert, hatte Lust zu lernen, und jetzt wollte sie auf die Evergreen in Olympia, Washington. Olympia war die Heimatstadt von Kill Rock Stars, Riot Grrrl und allem, was wir verehrten und wonach wir uns sehnten. Die Evergreen war damals eine öffentliche Schule, kein schickes Privatcollege, aber trotzdem hatte Kathy einige finanzielle Kämpfe zu überstehen, bis sie dorthin durfte. Es war eine radikale Schule, man lernte dort Politik und wurde dazu ermutigt, aktiv zu werden und Kunst als Triebfeder des sozialen Wandels zu begreifen. Man bekam beigebracht, dass alles eine politische Dimension besaß. Essen war politisch. Die finanzielle Situation einer Familie war politisch. Autos und Benzin waren politisch. Müll war politisch. Die Evergreen war eine Offenbarung.
    Kathy zog in der längsten Regenzeit, die es dort jemals gab, ganz allein nach Olympia. In dem Jahr, in dem Kathy das sonnige Arkansas verließ, ergoss sich der Regen im Nordwesten an rekordverdächtigen neunzig aufeinanderfolgenden Tagen über die Erde.
    Kathy war immer das Rückgrat unserer Gruppe gewesen. Sie hatte immer einen Job. Sie war eine praktisch veranlagte, gut organisierte junge Frau, und geprägt davon, wie sie aufgewachsen war, musste sie arbeiten. Auf diese Weise erhielt sie sich ihre geistige Gesundheit. Nathan, Jeri und ich dachten dagegen eher: »Geld, wen interessiert das schon?« Wir schnorrten uns durch oder kamen einfach ohne aus. Aber Kathy war ängstlich. Es gefiel ihr nicht, wenn sie nicht wusste, woher das Geld für die Miete kommen würde; daher übernahm sie selbst die Kontrolle über ihre Finanzen.
    Kathy und ich hatten uns in Arkansas sehr nahegestanden. Ich vermisste ihren Humor und die ganz besondere Freundschaft, die uns verband. Nachdem ich sie bereits sechs Monate lang vermisst hatte, gingen auch Nathan und Jeri. Sie zogen in Kathys winziges Studentenzimmer an der Evergreen. Ohne Geld ernährten sie sich tagelang von einer billigen Packung Asianudeln.
    Am Telefon und in Briefen bezeichneten Jeri und Nathan Kathys überfülltes Studentenzimmer als »das Nest«. Offensichtlich schliefen die beiden Jungs auf einem Haufen Schmutzwäsche auf dem Boden, wie Vögel, die sich aus den Trümmern der sie umgebenden Welt ein Bett gebaut hatten. Jeri fand einen Job im Telefonmarketing und brachte Geld nach Hause. Und Nathan – ich weiß nicht, wie Nathan über die Runden kam. Er muss Unterstützung von zu Hause gehabt haben.
    Kathy hatte Jeri das Flugticket nach Seattle bezahlt und war auch immer diejenige, die etwas zu essen besorgte. Und sie kam für die Miete auf, auch wenn es nur ein kleines Zimmer voller schmutziger Klamotten war.
    Ohne meine Freunde ging es mir dreckig. Alles, was ich durchgemacht und verdrängt hatte, türmte sich auf und brach wie eine Welle über mir zusammen. Ich drohte darin zu ertrinken. Ohne meine Freunde fühlte ich mich wieder der Einsamkeit meines Lebens überlassen, obwohl ich doch geglaubt hatte, sie überwunden zu haben. Jetzt steckte ich wieder mittendrin. Ich war viel zu traurig, um zu arbeiten. Schon bald würde ich mit der Schule fertig sein, es war mein letztes Jahr. Ich würde mich am Riemen reißen müssen. Aber je mehr ich über mein Leben nachdachte, desto hilfloser fühlte ich mich. Die Zeit bei Tante Jannie ließ mich nicht los. Jetzt, wo meine Freunde weg waren und ich in meinen eigenen Gedanken versank, hallten all die Erlebnisse, die ich verdrängt hatte, in meinem Kopf nach. Ohne meine Freunde war ich erneut in das alte Arkansas verbannt: das furchterregende, lähmende, ausweglose Arkansas. Ich erlitt einen Nervenzusammenbruch.
    Es fing eines Morgens in der Schule an. Mit einem trüben Blick in die Welt zu schauen bedeutet bei einem Teenager normalerweise, dass er noch nicht ganz wach ist, doch an diesem Morgen war es anders: Ich konnte nicht scharf sehen. Das Licht wirkte greller als sonst, mein Körper fühlte sich an, als schleppte ich tonnenweise Backsteine mit mir herum. Während der

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