Hebamme von Sylt
könnte, und schnitt Storms unversöhnliche Haltung an, die er gegenüber Dänemark eingenommen hatte. »Der dänische Schleswigminister Tillisch hat ihm sogar die Advokatur entzogen.«
Hermine von Bauer-Breitenfeld schwieg zu allem, was gesagt wurde. Es war, als wäre sie entschlossen, am Leben nicht mehr teilzunehmen, wenn es aus Essen, Trinken und einer Konversation bestand, die nicht gottgefällig war. Elisa sah, dass ihre Lippen sich kaum wahrnehmbar bewegten, und sie war sicher, dass die Baronesse heimlich betete, um aus diesen Stunden etwas zu machen, was nicht vergeudet war.
Auch Elisa schwieg, die sich während solcher Gespräche immer zurückhielt. Zwar hatte ihre Mutter sie oft in geistreichen Plaudereien unterrichtet, aber Elisa machte sich keine Illusionen. Was ihre Mutter in diesen Augenblicken über Theodor Storms Novelle »Immensee« sagte, wäre ihr niemals in den Sinn und schon gar nicht über die Lippen gekommen. Sie hatte einmal gehört, wie ihre Mutter zu ihrem Vater sagte, dass Elisa zum Glück hübsch genug sei, um darüber hinwegzusehen, dass ihre Geistesgaben nicht besonders ausgeprägt wären. Seitdem wusste sie, dass alle Anstrengungen auf diesem Gebiet zu nichts führen würden.
Alexander von Nassau-Weilburg sah sie trotzdem an, als wäre ihre Zurückhaltung Ausdruck einer intellektuellen Kraft. »Theodor Storm war ein großer Schweiger«, sagte er und ließ sich seine Worte von Dr. Pollacsek bestätigen. »Wo vieleWorte gemacht werden, lassen sich große Gedanken leicht zerreden.«
Daraufhin fiel Elisa etwas ein, was sie über Theodor Storm erfahren hatte. Und da ihre Mutter ihr aufmunternd zunickte, wagte sie einen Beitrag zu leisten: »Storm hat gesagt, es habe in seinem Leben keinen Mensch gegeben, der großen Einfluss auf ihn ausgeübt habe. Er sei immer nur durch Örtlichkeiten beeindruckt worden.«
Gräfin Katerina lächelte. »Es stimmt, was meine Tochter sagt. Storm hat sich mehr vom Visuellen prägen lassen als von Worten.«
Alexander spendete Elisa Beifall, als hätte sie Storms Werke unter einem Aspekt beurteilt, der bisher niemandem eingefallen war. Als er kurz darauf die Königin bat, mit Elisa von Zederlitz einen kleinen Spaziergang im Garten der Villa machen zu dürfen, entstand auf allen Gesichtern ein wissendes Lächeln. Auch auf denen von Katerina und Arndt von Zederlitz, die damit ihr Einverständnis signalisierten.
Nun war Elisa davon überzeugt, dass die Zurückweisung Alexander von Nassau-Weilburgs eine ganz besondere werden sollte. Er würde ihr den Dolchstoß seiner Verachtung erst in den Rücken rammen, wenn alle Welt davon überzeugt war, dass aus der Comtesse von Zederlitz demnächst eine Fürstin von Nassau-Weilburg werden würde. Und damit würde die Strafe, die er sich für sie ausgedacht hatte, viel schwerer wiegen. Danach konnte sie vermutlich nur noch ins Kloster gehen, zusammen mit Hermine von Braun-Breitenfeld.
Die Herren zogen sich ins Billardzimmer zurück, wo Zigarren geraucht werden sollten, die Damen beschlossen, sich die Zeit bis zum Dessert mit dem neuesten Gedichtband der Königin zu vertreiben. Frau Roth war bereit, aus dem Buch vorzulesen, das Königin Elisabeth, wie alle Texte, unter dem Pseudonym Carmen Sylva veröffentlicht hatte, was so viel bedeutete wie »Lied des Waldes«.
Elisa griff nach Alexanders Arm, den er ihr reichte, und verließ an seiner Seite den Raum. Sie spürte alle Blicke in ihrem Rücken und sogar die Gedanken, die ihnen folgten. Würde Alexander von Nassau-Weilburg nun seine Maske fallen lassen?
Dr. Nissen gab noch einmal zu bedenken, worüber Dr. Pollacsek lange vergeblich nachgedacht hatte, bevor er sich zurückziehen musste, um sich für das Dinner bei der Königin umzuziehen. »Es fehlen mehrere tausend Mark.«
»Sie wird Schulden gehabt haben«, kam es prompt von Heye Buuß zurück. »Die hat sie sofort nach dem Diebstahl bezahlt.«
»Damit hätte sie sich verraten. Ihr Gläubiger wüsste sofort, woher das Geld stammt. Jedenfalls, sobald der Diebstahl bekannt wird. Dieses Risiko wäre sie nicht eingegangen.«
Heye Buuß lachte. »Das ist kein Risiko! Wenn jemand sein Geld zurückhaben will, dann ist es ihm egal, woher es kommt. Er wird schweigen, weil er es sonst wieder hergeben müsste.«
Es war ein ungewöhnlich lauer und windstiller Abend. Die Geräusche waren zwar schon gedämpft, das Licht hatte sich gefärbt, und abendliche Kühle griff bereits nach der Wärme des Tages, aber er war noch so
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