Hebamme von Sylt
quasi mit ihr verlobt war? Oder war es am Ende besser, diesen Umstand gänzlich zu verschweigen, damit er selbst nicht Gefahr lief, Teil des Verdachts gegen Geesche Jensen zu werden? Auch Dr. Pollacsekhatte seine Pläne nicht erwähnt, als Heye Buuß mit dem Geld gekommen war, das Hanna Boyken bei ihm abgeliefert hatte. Womöglich würde er mit diesem Hinweis alles noch schlimmer machen.
Nun konnte er Geesche im Garten arbeiten sehen. Und er konnte auch erkennen, dass Hanna ihr bei der Arbeit half. Sie entfernte mit einem kurzen Besen die Spinnweben von den Fensterrahmen, während Geesche ein Beet umgrub, das abgeerntet worden war. Dr. Nissen beobachtete, dass Hanna sich häufig umdrehte, immer wieder den Weg entlang spähte und ihre Arbeit kurz unterbrach, als sie die beiden Männer bemerkte, die auf das Haus der Hebamme zukamen. Als sie so tat, als ginge sie dieser Besuch nichts an und sich wieder den Fenstern zuwandte, war Dr. Nissen sicher, dass ein Grinsen auf ihrem Gesicht lag.
Dieses niederträchtige kleine Biest! In wenigen Minuten würde sie ihm frech ins Gesicht lachen! Und ihm blieb nichts anderes übrig, als heimlich die Fäuste zu ballen und die Zähne zusammenzubeißen. Vier Monatsgehälter ihrer Mutter! Für diesen lächerlichen Betrag hatte er seine Zukunft verkauft. Und für die paar herrlichen Augenblicke, in denen er sich Hanna Boyken überlegen gefühlt hatte …
Das Schweigen wurde ihr schnell zur Last. Alexander von Nassau-Weilburg betrachtete verträumt die Blumen, die hinter der Villa Roth prächtig gediehen, und wollte mit seinem Schweigen offenbar den Augenblick schonen, der ihm zu kostbar erschien, um ihn mit Worten zu bagatellisieren. Elisa wartete mit zitterndem Herzen darauf, dass er endlich etwas sagte, was sie erlöste.
Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. Sie vergrößerte den Abstand zu ihm so weit, dass nur noch ihre Fingerspitzen seinen Arm berührten, und meinte, ohne ihn anzusehen: »Besser, Sie sagen mir gleich, was Sie zu sagen haben. Und ganz offen,wenn ich bitten darf.« Als er noch immer schwieg, ergänzte sie: »Ich weiß, dass ich kein Entgegenkommen erwarten kann. Trotzdem bitte ich Sie, mich vor allzu großer Demütigung zu bewahren. Ich glaube, Sie sind ein Mann, an den eine Frau eine solche Bitte richten darf.« Sie wusste, dass diese Worte sich anhörten wie Schmeichelei, die ihn blenden und verführen sollte, und glaubte gleichzeitig, dass Alexander von Nassau-Weilburg kein Mann war, der sich von der Befriedigung seiner Eitelkeit lenken ließ. Doch ihr fiel nichts anderes ein, als zu bitten und zu flehen und zu hoffen, dass sich damit sein Herz erweichen ließ.
Noch immer schwieg Fürst Alexander. Aber nun merkte Elisa, dass es kein eisiges Schweigen war, keins, das strafen oder geringschätzen sollte. Womöglich nur ein Schweigen, das in Ratlosigkeit entstanden war?
Er zog Elisa zu einer kleinen Bank. Sie stand in einer Nische, die aus Buchsbäumen gebildet worden war, die die Roths vom Festland mitgebracht hatten. Ein Page eilte herbei, um die Sitzfläche sauber zu wischen, aber Alexander wehrte ihn ab, zog ein Taschentuch aus seiner Tasche und sorgte selbst dafür, dass es nichts gab, was Elisas hellem Kleid gefährlich werden konnte. Dann wartete er, bis sie sich niedergelassen und ihre Röcke geordnet hatte, ehe er sich zu ihr setzte. Den Pagen schickte er mit einer energischen Handbewegung fort.
Elisa sah sich unruhig um. Niemand war in der Nähe! Hätte sie darauf bestehen müssen, den Weg weiterzugehen, der auf jedem Meter vom Haus aus zu überblicken war? Jetzt war sie mit dem jungen Fürsten allein. Würde sich alles so verhalten, wie ihre Eltern glaubten, müsste sie sich keine Sorgen machen. Sie hielten Alexander von Nassau-Weilburg für einen ernsthaften Bewerber um ihre Hand. Da war es nicht unschicklich, wenn sie sich an einem Ort mit ihm allein befand, der doch jederzeit jedem anderen zugänglich war. Ein Mann aber, der es auf ihre Ehre abgesehen hatte, konnte mit diesem Alleinsein viel anrichten.
Nun griff er sogar nach ihrer Hand. »Comtesse, ich verstehe Ihre Sorge. Deswegen bin ich froh und dankbar, dass wir ein paar Augenblicke allein sein können.«
Elisa versuchte zu lachen, aber es klang wie ein Schluchzen. »Damit Sie mich vollends entehren können? Das wollen Sie doch! Mir den Hof machen, damit Sie mich dann umso wirkungsvoller zurückweisen können.« Sie wandte sich ihm zu und ärgerte sich darüber, dass ihr die Tränen
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