Hebamme von Sylt
würde, war mehr als ungewiss. Ein Leben an der Seite eines gleichgültigen, lieblosen Mannes würde vermutlich ihre Strafe dafür sein, dass sie der Liebe begegnet war und nichts getan hatte, um ihr auszuweichen, wie es ihre Pflicht gewesen wäre. Der junge Fürst wusste nun, dass sie zu den Frauen gehörte, die in ihren Kreisen liederlich genannt wurden und als Ehefrauen nur für einen Mann in Betracht kamen, der sich von der Ehe mit Elisa von Zederlitz konkrete Vorteile erhoffte. Ein Adliger von niedrigem Rang vielleicht oder der Spross eines verarmten Adelshauses, der an ihrer Mitgift interessiert war. Mehr durfte sie nicht mehr erwarten, wenn Alexander von Nassau-Weilburg über ihre Verfehlung reden würde. Für Elisa selbst würde es nur noch eine gute Partie geben, wenn er bereit war zu schweigen. Aber warum sollte er das tun, wo er doch durch ihr Verhalten so schwer gekränkt worden war?
Als er ihr ein Glas reichte und ihr ein heimliches Lächelnschenkte, das sie zu Komplizen zu machen schien, war sie sich plötzlich nicht mehr sicher, dass er wirklich der Gentleman war, für den sie ihn gehalten hatte. Möglich, dass er in dieser Stunde bereit war, ihr Peinlichkeiten zu ersparen, aber später dafür sorgen würde, dass ihre Verfehlung sich herumsprach. Wenn die Königin es wusste, wenn sie ihren deutschen Verwandten empfahl, niemals Elisa von Zederlitz auf ihre Einladungslisten zu setzen, dann würde ihre Zukunft zu Ende sein, ehe sie recht begonnen hatte. Ihre arme Mutter!
Nach der Familie von Zederlitz traf Baron Bauer-Breitenfeld mit seiner Gemahlin ein. Sie residierten in einer Villa in der Nähe, die 32 Zimmer hatte und als Sommersitz erbaut worden war. Seit aber ihr Sohn eine Sylterin geheiratet hatte, wurde die Villa während des ganzen Jahres von der jungen Familie bewohnt. Die Eltern machten es wie Graf und Gräfin von Zederlitz und kamen für einen langen Sommer von Bayern nach Sylt.
Der Baron hatte sich etwas erlaubt, was einmalig in Westerland war: Er hatte seine Villa mit einer eigenen Strom- und Wasserversorgung ausgestattet. Ein kleiner, untersetzter Mann war er, mit einem gewaltigen Bauch, den er mit einer kostbaren Brokatweste und einer schweren goldenen Uhrkette geschmückt hatte, als sei er stolz auf dieses Ergebnis guten Essens und teurer Getränke. Seine Frau überragte ihn um einige Zentimeter und war von ähnlicher Leibesfülle. Ihr Doppelkinn stülpte sich über den hohen, engen Kragen ihres schwarzen Kleides, das mit unzähligen Perlen geschlossen wurde, die als Knöpfe eigentlich nicht geeignet waren. Die winzigen Knopflöcher dehnten sich bei jedem Atemzug, und wer einmal einen Blick auf diese außergewöhnliche Knopfreihe geworfen hatte, wurde die Angst nicht mehr los, dass über kurz oder lang eine der Perlen kapitulieren könnte.
Die Bauer-Breitenfelds wurden von ihrer Tochter begleitet, die von den Eltern nach Sylt befohlen worden war, weil sie dort von dem unsinnigen Vorhaben abgebracht werden sollte, ihrLeben Gott zu weihen und in ein Kloster einzutreten. Allerdings sah alles danach aus, als würde es den Eltern nicht gelingen. Hermine Bauer-Breitenfeld wirkte, als hätte sie den Schleier bereits genommen. Ihr dunkelgraues Kleid war so schlicht wie das Gewand einer Nonne, und auf jeglichen Putz hatte sie verzichtet. Sehr schlank war sie, geradezu hager, als übte sie sich schon seit langem darin, allem zu entsagen, was das Leben einer Tochter aus reichem Elternhaus angenehm machte. Das Lächeln der Mutter wurde stets verkniffen, wenn ihr Blick auf die Tochter fiel, während der Vater mit unbeholfener Heiterkeit versuchte, seiner Tochter ein Lächeln aufs Gesicht zu zwingen. Es gelang ihm jedoch kein einziges Mal. Die Baronesse schien entschlossen zu sein, ihr Dasein zu ertragen, statt sich daran zu erfreuen.
Alexander von Nassau-Weilburg blieb an Elisas Seite, während sich die Gäste miteinander bekannt machten. Jedes Mal, wenn der wohlwollende Blick ihrer Mutter sie traf, wusste sie, wie gut er seine Rolle spielte. Nach wie vor umwarb er sie, obwohl sie es nicht verdient hatte, behandelte sie mit der Ehrerbietung, die sie ebenfalls nicht mehr verdiente, und küsste ihr so oft die Hand, dass alle Anwesenden davon überzeugt sein mussten, es würde bald eine Verlobung geben. So erleichtert Elisa auch war, dass er sie respektvoll behandelte, so wurde sie von Minute zu Minute unsicherer. Er übertrieb es mit seiner Schmeichelei! Wie würde die Familie von Zederlitz
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