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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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Pollacsek den Arzt gern auf Sylt halten möchte.«
    Marinus nickte noch einmal. Dann wurde es still zwischen den Brüdern. Marinus hätte ihr Schweigen gern Gefühlskälte genannt, Abneigung, Entfremdung, doch es gelang ihm nicht. Er wollte sich quälen in der Wortlosigkeit, wollte das dringende Bedürfnis verspüren, ihr zu entfliehen, wollte seinen Bruder verachten für dieses satte Schweigen … aber auch das gelang ihm nicht. Und als Arndt die Stille zerschnitt, gab er all seine Versuche auf.
    »Warum tust du das?«, fragte Arndt. »Warum willst du die Hebamme unbedingt befreien? War sie dir nicht genauso zuwider wie ich, als du wusstest, was sie getan hat?«
    Marinus reagierte nicht, weil eine Antwort die Erkenntnis gewesen wäre, dass er seine Stärke vollends aufgegeben hatte.
    Graf Arndt gab die Antwort an seiner Stelle. »Weil du sie noch liebst. Nicht weniger als vorher.«

XVI.
    Das Gefängnis lag am nördlichen Rand von Westerland, weit entfernt von den Hotels und den Häusern der angesehenen Sylter Bürger. In der Nähe gab es nur ein paar armselige Katen, in denen Strandgutsammler lebten, die früher mal ein gutes Auskommen gehabt hatten. Seit es aber immer mehr Strandräuber zwischen Westerland und Wenningstedt gab, die den Strandgutsammlern ihre Beute abjagten, wurde es von Tag zu Tag schwieriger, am Strand etwas zu finden, was sich zu Geld machen ließ. Viele Strandgutsammler trauten sich nicht mehr allein ans Meer, seit einige von ihnen erschlagen aufgefunden worden waren. Aber diese Fälle waren schnell zu den Akten gelegt worden. Die Obrigkeit wollte sich nicht mit den Strandräubern anlegen, die in den Dünen in primitiven Unterständen hausten und sich nur gelegentlich in Westerland blicken ließen. Obwohl der Inselvogt auf den Anteil verzichten musste, den die Strandgutsammler als Steuer abzugeben hatten, ließ er die Strandräuber dennoch ungeschoren. Sie waren allesamt große, kräftige Kerle, düster anzusehen, denen ängstliche Blicke folgten, wenn sie in den Ort kamen. Manche Geschäftsinhaber verriegelten dann sogar die Türen, obwohl es noch nie einen Überfall im Ortskern gegeben hatte. Einige behaupteten sogar, unter den Strandräubern gäbe es ehrbare Männer, die nur deshalb aus der bürgerlichen Gemeinschaft ausgezogen waren, weil sie dort keine Chance hatten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
    Das Gefängnis war ein dunkles, geducktes Gebäude mit vergitterten kleinen Fenstern, die nur wenig Licht hereinließen. Drei Zellen besaß es, die meistens ausreichten. Und wenn nicht, mussten sich mehrere Gefangene eine Zelle teilen, die nur mit dem Notwendigsten ausgestattet war. Eine Pritsche mit einer Decke, ein Tisch mit einem Schemel davor und in einer Ecke ein Eimer für die Notdurft. Aus einer der zunächstvier Zellen war die Wohnung des Gefängniswärters geworden, die nicht viel komfortabler war als die Gefängniszellen und ebenfalls vergitterte Fenster hatte. Doch der alte Nermin hatte einen Weg gefunden, als Gefängniswärter sein Auskommen zu finden: Er ließ sich von den Angehörigen der Inhaftierten dafür bezahlen, dass er sie gut behandelte. So gab es in seiner Wohnung ein paar bequeme Möbelstücke und jede Menge Hausrat, den er sich leisten konnte. Wenn es Gefangene mit pflichtbewussten Angehörigen gab, ließ Nermin sich so viel zu essen bringen, dass er das Haus nie verlassen musste, um sich mit Lebensmitteln zu versorgen. War das Gefängnis leer oder saßen dort arme Schlucker ein, deren Angehörige genauso wenig hatten, ging es Nermin allerdings so schlecht wie den ärmsten Halmreepern. Dann musste er hoffen, dass sein Sohn ihm etwas zu essen brachte, der in der Nähe wohnte und als Kofferträger im »Strandhotel« arbeitete. Er vertrat den Vater auch, wenn der ausnahmsweise mal das Haus verlassen wollte. So kam es niemals vor, dass die Gefangenen sich selbst überlassen blieben.
    Als Geesche dort eingeliefert wurde, hatte es seit Wochen keinen Gefangenen mehr gegeben, und der alte Nermin war froh, dass sich mit Geesches Erscheinen endlich wieder eine Einnahmequelle auftat. Die Hebamme würde hoffentlich Freunde und Verwandte haben, denen daran gelegen war, dass es ihr gutging. Diese Gedanken waren nicht nur an seinem Gesicht abzulesen gewesen, er hatte sie sogar unverblümt geäußert.
    Geesche wickelte sich die Decke um den Körper, obwohl sie unangenehm roch und aus einer kratzigen Wolle bestand. Aber sie fror trotz des lauen Sommerabends und wagte sich nicht

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