Hebamme von Sylt
geöffnet?«
Arndt war nicht minder erschrocken. »Ich war der Meinung, es wäre geschlossen.«
Die helle Gestalt zwischen den Gardinenhälften konnte genauso gut Rosemarie wie Katerina sein. Jetzt verschwand sie, die Gardinen schlossen sich.
»Katerina ist kein Mensch, der andere belauscht«, sagte Graf Arndt leise.
Mühsam raffte Marinus ein wenig von der Stärke zusammen, die er soeben fast eingebüßt hatte. »Wenn du schon nicht bereit bist, zu deiner Schuld zu stehen, dann gib mir wenigstens Geld, damit ich Geesche helfen kann.«
Arndt sah seinen Bruder verblüfft an. »Was hast du vor?«
»Ich werde sie befreien und mit ihr von der Insel fliehen. Wenn ich genug Geld habe, werde ich schon jemanden finden, der uns aufs Festland bringt.«
»Das ist gefährlich.«
»Ich werde es trotzdem versuchen. Die Vorstellung, dass Geesche jahrelang in diesem Gefängnis sitzen muss, für etwas, was sie nicht getan hat …«
»Weißt du eigentlich, dass sie verlobt ist?«
Marinus brach verblüfft ab und starrte seinen Bruder an. »Was sagst du da?«
»Dr. Pollacsek wusste es. Geesche Jensen hat sich mit Dr. Nissen verlobt.«
»Das glaube ich nicht.« Marinus versuchte es mit einem kleinen Lachen, das ihm jedoch nicht gut gelang. »Wenn es stimmt, dann hat sie es aus Verzweiflung getan. Weil ich mich von ihr getrennt habe.«
»Deswegen wirft sie sich gleich dem Nächsten an den Hals?«
»Sprich nicht so von ihr! Wenn du sie auch nicht magst …«
»Ich habe nie gesagt, dass ich sie nicht mag. Ich war nur dagegen, dass du sie heiratest. Nun weißt du, warum. Ich wollte nicht, dass die Frau zu unserer Familie gehört, mit der mich eine große Schuld verbindet.« Graf Arndt sah seinen Bruder fragend an, und Marinus nickte. »Ihr ging es genauso. Du hast sie nie richtig verstanden, wenn sie sagte, sie wolle keinen Mann heiraten, dessen Bruder ein Graf ist.« Ein langes Schweigen stellte sich zwischen die beiden, dann sagte Arndt: »Ich gebe dir so viel Geld, wie du willst.«
»Vielleicht kann ich den Gefängniswärter bestechen. Das wäre am einfachsten. Allerdings … ich habe gehört, dass er zwar bestechlich ist, aber noch nie dabei geholfen hat, dass ein Gefangener fliehen konnte. Das würde ihm eine Menge Ärger bringen. Er lässt sich nur für die gute Behandlung der Gefangenen bezahlen. Also werde ich wohl einen anderen Weg suchen müssen.«
Der Graf sah aus, als fröre ihn. »Welchen?«
Marinus zog es vor, seinem Bruder nicht in seine Pläne einzuweihen. »Mal sehen … Wenn Geesche frei ist, werden wir uns nach Munkmarsch durschlagen. Dort wird sich jemand finden, der uns übersetzt.«
»Das wird Heye Buuß voraussehen. Wetten, dass er euch in Munkmarsch erwartet, wenn ihr dort ankommt?«
»Für wie dumm hältst du mich? Glaubst du, ich habe Pferd und Wagen vor dem Gefängnis stehen? Damit uns jeder sieht und jeder erkennt? Und damit jeder dem Inselvogt melden kann, dass Marinus Rodenberg und Geesche Jensen auf dem Weg nach Munkmarsch sind?«
Arndt versuchte zu grinsen. »Ganz abgesehen davon, dass du weder Pferd noch Wagen hast.«
»Wenn ich es brauchte, würde ich es von dir verlangen«, entgegnete Marinus kalt. »Nein, ich habe eine Hütte am Strand gefunden, zwischen Wenningstedt und Westerland. Dort werde ich Geesche fürs Erste unterbringen und dann abwarten, wie sich alles entwickelt. Erst, wenn wir wissen, was Heye Buuß unternimmt, machen wir uns nach Munkmarsch auf.«
»Dann wissen alle Fischer dort, dass ihr fliehen wollt. Sie werden sehr viel Geld von dir verlangen.«
»Du wirst es mir geben.«
Arndt nickte deprimiert, dann fragte er: »Was ist das für eine Hütte?«
»Sie wurde früher von Strandgutsammlern bewohnt.«
»Wie soll ich Dr. Pollacsek erklären, warum du verschwundenbist? Warum du nicht zur Arbeit kommst? Er wird sofort vermuten, dass du Geesche zur Flucht verholfen hast.«
Marinus schüttelte den Kopf. »Pollacsek wird mich nicht vermissen. Er hat mir gekündigt. Auch deswegen brauche ich Geld von dir.«
Graf Arndt war wie vor den Kopf gestoßen. »Aber er hat gesagt, er braucht dich für die nächsten Strecken der Inselbahn.«
Marinus nickte. »Da steckt irgendwas anderes hinter.« Er dachte nach, dann fiel ihm ein: »Dr. Nissen war gerade gegangen, als ich zu Dr. Pollacsek kam. Er ist mir vor der Haustür begegnet. Vielleicht hat er was damit zu tun?«
Graf Arndt schlug sich vor die Stirn. »Er will dich loswerden. Wegen Geesche! Ich habe schon gehört, dass Dr.
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