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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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kannte, dass er ihn von einem Augenblick zum nächsten zu seinem eigenen machen konnte. Er übernahm sogar Hannas Schwanken und die Last der Anstrengung, die sich dann in seinem Gesicht genauso abzeichnete wie in ihrem. Schon mit Hannas allerersten Schritten, als sie bereits fünf Jahre alt gewesen war, hatte Ebbo versucht, ihr damit einen Teil der Last abzunehmen. »Ich war seitdem nie wieder allein mit ihr«, sagte er leise, während sie in die Dunkelheit eintauchten und das beleuchtete Anwesen der von Zederlitz hinter sich ließen. »Ich weiß nicht einmal genau, was passiert ist.«
    »Ich habe es dir erzählt«, entgegnete Hanna scharf.
    »Aber ich hätte es gerne aus Elisas Mund gehört.«
    »Glaubst du mir etwa nicht?«
    »Darum geht es nicht. Woher soll ich wissen, dass Elisa dir alles anvertraut hat?«
    »Sie vertraut mir immer alles an. Alles! Ich bin ihre Freundin.«
    »Auch jetzt noch?
    Wenn Hanna aufgeregt war und sich ereiferte, verlor sie ihren Rhythmus und lief Gefahr zu stolpern. Erschrocken griff Ebbo nach ihrem Arm und hielt sie. »Du hast sie in eine unmögliche Situation gebracht.«
    »Ihr selbst habt euch in diese Situation gebracht«, widersprach Hanna heftig. »Ich habe euch nur geholfen.«
    »Der Fürst weiß nun, dass Elisa einen anderen liebt. Was soll das für eine Ehe werden?«
    »Ich habe euch geholfen«, beharrte Hanna. »Warum soll ich schuld sein? Warum immer ich?«
    Ebbo ließ Hannas Arm los und sah beschämt auf seine nackten Füße. Ja, Hanna hatte ihnen geholfen. Es war ungerecht, ihr Vorwürfe zu machen. »Und Geesche?« fragte er, weil er noch nicht zulassen wollte, dass Hanna ohne Schuld sein sollte. »Warum hast du ihr nicht geholfen?«
    »Ich bin nicht schuld«, wiederholte Hanna. »Wenn Geesche Geld gestohlen hat, muss sie dafür bestraft werden.«
    »Hat sie das wirklich?«
    Hanna funkelte ihren Bruder zornig an. »Woher soll sie sonst so viel Geld haben?«
    Sie überquerten die Süderstraße und bogen in das Gewirr von winzigen Wegen ein, an denen die ärmsten Katen Westerlands standen.
    »Vielleicht hat sie es von ihrem Vater geerbt«, meinte Ebbo mutlos.
    »Warum sagt sie das nicht?«
    Ebbo nickte stumm. Diese Frage hatte er sich tausendmal gestellt. Auch Freda bewegte sie ständig in ihrem Kopf, daswusste er. Dennoch waren sie nach wie vor beide der Überzeugung, dass Geesche Jensen keine Diebin war.
    Ebbo tat es leid, dass er bei seinem Besuch im Gefängnis noch nicht zu dieser Gewissheit gekommen war. Es ginge ihm jetzt besser, wenn er Geesche Mut und Zuversicht hätte geben können.
    Hanna humpelte nun so schnell sie konnte und stieß in dem schweren Rhythmus ihrer Schritte hervor. »Sie hat mich nie gemocht. Sie hat immer nur so getan. Gelogen hat sie! Gelogen! Früher habe ich gedacht, sie hat mich lieb. Warum sonst hätte sie mich verteidigen sollen, wenn die anderen Kinder mir was nachgerufen haben? Und sie hat mir zu jedem Geburtstag ein Geldstück geschenkt. Aber dann habe ich gemerkt, dass sie mich in Wirklichkeit gar nicht mag.«
    »Das bildest du dir ein«, meinte Ebbo hilflos, obwohl er wusste, dass Hanna recht hatte.
    Er rechnete mit wütendem Protest, aber Hannas Stimme klang mit einem Mal matt und empfindungslos. »Ihr könnt euch nun in Geesches Haus treffen. Sie hat einen bequemen Alkoven.«
    Ebbo beugte sich vor, um Hannas Gesicht in der Dunkelheit erkennen zu können. »Bist du verrückt geworden? Elisa ist jetzt die Verlobte des Fürsten.« Und als Hanna darauf nichts entgegnete, fügte er an: »Außerdem wohnt Dr. Nissen in Geesches Haus. Er könnte uns entdecken.«
    Es blieb eine Weile still, Ebbo lauschte auf das ruhige, gleichmäßige Tohk-tik von Hannas Schritten, schließlich sagte sie: »Er ist selten zu Hause. Bei gutem Wetter hält er sich am Strand auf, mittags und abends isst er im ›Dünenhof‹ oder im ›Strandhotel‹. Und die Abende verbringt er gern im Conversationshaus.«
    »Wenn er uns entdeckt, wäre Elisas Ruf ruiniert!«
    »Ich werde aufpassen«, sagte Hanna. »Ich kann euch immer noch helfen. Und ich kann auch dafür sorgen, dass Dr. Nissenden Mund hält, falls er tatsächlich etwas bemerkt.« Trotz der Dunkelheit sah Ebbo das Lächeln auf ihrem Gesicht, das immer dann entstand, wenn sie sich der Freundschaft der Comtesse sicher sein konnte. »Ich habe heute etwas über Dr. Nissen erfahren, was sonst keiner weiß. Und er wird nicht wollen, dass ich darüber rede.«
     
    Marinus schlich den Geräuschen nach, sorgfältig darauf

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