Hebamme von Sylt
langgezogenes Wimmern, ein unterdrücktes Würgen. Und kurz darauf ein kaum wahrnehmbares Rascheln auf dem Gang hinter der Tür, ein metallisches Klicken, dann das raue Quietschen eines Schlüssels, der sehr langsam, sehr behutsam bewegt wurde … Marinus begriff es mit einem Schlage: Da drang jemand in Geesches Zelle ein. Jemand, der den alten Nermin zuvor unschädlich gemacht hatte. Jemand, der ungehört bleiben wollte, um Geesche im Schlaf zu überraschen …
Ebbo hatte sich nur schwer von dem Bild lösen können, und das, obwohl er schon seit Stunden nichts mehr davon sehen wollte, wie der Fürst Elisa die Hand küsste, ihr den Stuhl zurechtrückte, an ihren Lippen hing, wenn sie mit ihm sprach, und ihr mit großen Gesten zu imponieren versuchte. Als Alexander von Nassau-Weilburg der Frau, die Ebbo über alles liebte, den Ring ansteckte, hätte er schreien können vor Schmerz, Wut und Verzweiflung. Er hatte gewusst, dass es irgendwann so kommen würde, aber dass es so wehtat, hatte er nicht geahnt. Warum verlobte sich Elisa nicht in ihrer Heimat? Warum ausgerechnet auf Sylt? Unter Ebbos Augen?
Vorsichtig erhob er sich und klopfte sich den Sand von der Hose. Natürlich kannte er die Antwort auf all seine Fragen: weil Elisa froh sein musste, dass sie so glimpflich davonkam. Weil sie es sich nicht leisten konnte, auf Bedenkzeit zu pochen!Weil sie Fürst Alexander alles recht machen musste, damit er seinen Antrag nicht zurückzog. Er sah, wie zufrieden Elisa von der Königin angelächelt wurde, und begriff erst in diesem Augenblick, wie zerbrechlich das Glück der Reichen war, das er bis dahin für garantiert und gesichert gehalten hatte.
Das Summen der Gespräche brach mit einem Mal ab, wie es schon ein paarmal geschehen war, wenn die Königin das Wort an alle Anwesenden richtete. Lächelnd betrachtete sie zunächst das Brautpaar, dann Elisas Eltern. »Morgen werde ich offiziell Elisa und Alexander als Verlobte präsentieren. Der Gedenkstein, den ich der Insel stiften möchte, ist soeben fertig geworden. Das hat mir der Kurdirektor mitteilen lassen.«
Beifälliges Murmeln erhob sich, und Graf Arndt beeilte sich zu bemerken, wie großzügig dieses Geschenk der Königin sei. »Sylt wird Sie schon deswegen nie vergessen, Majestät.«
Königin Elisabeth lächelte milde. »Elisa und Alexander sollen morgen an meiner Seite stehen. Als frisch Verlobte!«
Ebbo hielt es nicht mehr aus. Einen letzten Blick warf er auf Elisa, die er nicht mehr gesehen hatte, seit Fürst Alexander in den Dünen plötzlich auf sie herabgeblickt hatte. Noch einmal ließ er seinen Blick durch den Raum gleiten, der von unzähligen Kerzen erhellt wurde, betrachtete noch einmal das blinkende Silber der Leuchter und Bestecke, das matt schimmernde Porzellan, die schneeweißen Tafeltücher, all diese Kostbarkeiten, den Reichtum, diese andere Welt, die nichts mit ihm zu tun hatte, nur das eine: die Frau, die im Mittelpunkt dieses Lebens stand und die er liebte, wie er nie wieder jemanden lieben würde. Und die Gewissheit, dass sie ihn genauso liebte, machte den Schmerz unerträglich.
Schritt für Schritt schob er sich voran, den Blick fest auf die Gäste der Verlobungsfeier gerichtet, damit er sofort reagieren konnte, falls jemand auf die Bewegung vor der hellen Düne aufmerksam wurde. Dann war er ihrem Blickfeld entkommen und lief mit großen Schritten um das Grundstück herum biszum Eingang. Gerade konnte er noch die schwankende Gestalt erkennen, ehe sie in der Dunkelheit aufging.
»Hanna! Warte!«
Als er näher kam, sah er, dass sie stehen geblieben war. »Lass uns zusammen nach Hause gehen.«
»Du hast die ganze Zeit in den Dünen gehockt und zugesehen?«
Ebbo nickte, ohne aufzublicken. »Ich musste es mit eigenen Augen sehen, damit ich es glauben konnte.«
»Du hast gewusst, dass es über kurz oder lang so kommen wird.«
»Ja, ja.« Ebbo ging ungeduldig weiter, viel zu schnell für seine Schwester, blieb aber schon nach wenigen Metern stehen, um auf sie zu warten. »Und ich muss froh sein, dass er Elisa einen Antrag gemacht hat, das weiß ich auch! Alles andere wäre schrecklich für sie gewesen.«
Hanna lächelte, zog aber die Mundwinkel blitzartig herab, als sie Ebbos Zorn sah. »Ich weiß, ich bin schuld«, begann sie zu jammern. »Weil ich im falschen Moment austreten musste. Die Comtesse ist auch wütend auf mich. Immer bin ich schuld. Dabei will ich doch alles richtig machen!«
Ebbo fiel in Hannas Rhythmus, den er so gut
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