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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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es mir bis heute, dass ich für ihn eine Marzipantorte erfunden habe, für die er jede andere Köstlichkeit stehen lässt.« Selbstverständlich, so ergänzte er, habe ernach Sylt reichlich Marzipan mitgenommen, denn auch die Königin sei eine Liebhaberin dieser Delikatesse. Und wenn der König seine Gemahlin auf Sylt besuche, werde er sicherlich nach seiner Marzipantorte fragen. So viel Marzipan habe er im Gepäck, dass er sogar einiges davon habe abgeben können.
    Und damit war er auf Dr. Nissen zu sprechen gekommen. Eugen war in der Lage, übergangslos von einem Gesprächsthema zum nächsten zu wechseln, am liebsten, ohne unterbrochen oder mit Zwischenfragen aus dem Erzählrhythmus gebracht zu werden.
    »Als ich noch zur See fuhr, bin ich einmal mit einer schlimmen Blinddarmentzündung in Hamburg an Land gegangen. Dort wurde ich in die Klinik von Dr. Nissens Schwiegervater gebracht. Oder vielmehr … von seinem ehemaligen Schwiegervater. Dr. Nissen hat mir das Leben gerettet – ganz sicher! Dafür habe ich ihm gerne ein bisschen Marzipan überlassen, damit er der Frau, die er liebt, eine Freude machen konnte.«
    Hanna hatte ihn mit dem Hinweis unterbrochen, dass ihr Dr. Nissen bekannt sei und sie von den Marzipanherzen wisse, aber Eugen hörte ihr nicht zu. Er erging sich in Mutmaßungen darüber, warum der arme Dr. Nissen, dem er sein Leben verdankte, von seinem Schwiegervater aus dem Haus und der Klinik gejagt worden war. »So ein guter Arzt! Und dann steht er plötzlich auf der Straße und besitzt nur noch das, was er am Leibe trägt. Als verheirateter Mann war er vermögend, einflussreich, bedeutsam, als geschiedener Mann besitzt er keinen blanken Heller.«
    Nun wurde Hannas Einwurf nachdrücklicher. »Dr. Nissen ist ein reicher Mann! Seine Frau hat ihn betrogen, deswegen hat er sich scheiden lassen. Und deswegen hat er natürlich auch eine hohe Abfindung kassiert.«
    »Papperlapapp!« Eugen holte die Weißkohlscheiben aus dem Sud und ließ sie vor Hannas Augen zappeln. »Dr. Nissen war ein armer Schlucker, als er die Tochter des Klinik-Chefs heiratete,und ist es heute wieder. Keiner weiß, warum er sich das gefallen lässt. Einfach auf die Straße gesetzt! Seine Frau wollte die Scheidung nicht und er selbst noch weniger. Aber der Schwiegervater hat sie verlangt.«
    Hanna war verblüfft. »Geesche Jensen hat er erzählt, seine Frau sei schuld an der Scheidung.«
    Das schwere Weißkohlblatt riss von der Gabel des Kochs, Eugen fluchte zunächst ausgiebig, ehe er weitersprach: »Ich bin froh, dass ich ihm mit dem Marzipan aushelfen konnte. Vielleicht kann er sich mit dieser Hebamme eine neue Existenz aufbauen. Das Leben wird für ihn nicht mehr so komfortabel wie früher sein, aber immerhin kann er hier auf Sylt sein Auskommen finden.«
    »Ihn reizt das einfache Leben«, warf Hanna ein.
    Aber Eugen ließ auch diesen Einwand nicht gelten. »Ihm bleibt gar nichts anderes übrig, als einfach zu leben, das ist es! Er kann froh sein, wenn er was zu essen hat.« Kopfschüttelnd betrachtete er die Krautwickerl, die er vor sich aufgereiht hatte. »Ich verstehe nur nicht, dass man so mit ihm umspringen durfte.« Dann schien ihm etwas einzufallen, was er im Eifer des Erzählens vergessen hatte. »Du sagst, er behauptet, seine Frau habe ihn betrogen? Und niemand auf Sylt weiß, dass er ein armer Schlucker ist? Und dass sein Schwiegervater ihn rausgeworfen hat, weiß auch keiner?« Er wartete Hannas Bestätigung nicht ab. »Dann ist es besser, du vergisst, was ich dir erzählt habe. Wenn Dr. Nissen nicht darüber reden möchte, dann will ich nichts gesagt haben.«
    Hanna hatte halbherzig versichert, dass auch sie kein Sterbenswörtchen über Dr. Nissen Vergangenheit verlieren wolle, sah aber in Wirklichkeit nicht ein, warum sie sich diese neuen Kenntnisse nicht zunutze machen sollte.
    Gerade wollte sie ins Haus gehen, da sah sie die Bewegung, die sich aus der Nacht löste und schnell Gestalt annahm. Ebbo war zurückgekehrt.
    »Du meinst wirklich, das stimmt?«, fragte er und bewegte seine Füße auf der Stelle weiter, als schämte er sich dafür, zu Hanna zurückgekommen zu sein, und wollte ihr weismachen, sich unverzüglich wieder abzuwenden, solange sie jemanden der Lüge bezichtigte, der bisher über jeden Zweifel erhaben gewesen war.
    Doch Hanna wusste, dass er vor allem an das Angebot dachte, sich mit Elisa in Geesches Haus zu treffen. Dort, wo sie sicher vor fremden Blicken sein konnten, sogar sicher vor Dr. Nissen.

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