Hebamme von Sylt
unsympathisches Mädchen mit einer unangenehmen Behinderung. Um deren Hand hätte Fürst Alexander von Nassau-Weilburg niemals angehalten.«
Auf der Stirn des Grafen sammelte sich Schweiß, seine Lippen zitterten, die Hände, die auf seinen Knien lagen, bebten. Noch immer war er so blass, dass Dr. Nissen Angst bekam, er könnte in Ohnmacht fallen. »Wer hat Ihnen das verraten?«, fragte er so leise, als fürchtete er einen Horcher vor der Tür.
»Niemand«, gab Dr. Nissen zurück und versuchte, seine Stimme unbefangen klingen zu lassen. »Ich habe es herausgefunden. Wie, das tut nichts zur Sache.« Er beugte sich vor und fixierte den Grafen. »Ich erwarte, dass Sie mir so viel Geld geben, wie damals die Hebamme von Ihnen bekommen hat. Wenn nicht, erfährt alle Welt, was Sie getan haben. Auch, dass Geesche Jensen für eine Tat im Gefängnis sitzt, die sie nicht begangen hat.« Er setzte ein Grinsen auf, wusste aber nicht, ob es ihm so gut gelungen war, wie er wollte. »Dass das Geld in ihrer Truhe der Lohn für dieses Verbrechen ist, darf ich wohl annehmen?«
Aus Graf Arndts Augen sprühte nun der Hass. Angewidert blickte er in Dr. Nissens Gesicht. »Wie viel wollen Sie?«
»Das sagte ich doch: so viel wie die Hebamme.«
»So viel habe ich nicht mit nach Sylt genommen.«
Dr. Nissen hatte die Taschenuhr des Grafen schon mehr als einmal bewundert. Sie erinnerte ihn an die kostbare Taschenuhrseines Schwiegervaters und war mit Sicherheit genauso wertvoll. Eigentlich hatte er darauf gehofft, sie einmal erben zu können. »Dann geben Sie mir fürs Erste Ihre Uhr. Als Pfand sozusagen! Wenn ich das Geld habe, bekommen Sie die Uhr zurück.«
»Und woher soll ich wissen, dass Sie sich an Ihre Zusagen halten?«
»Sie müssen mir einfach vertrauen.« Dr. Nissen grinste noch einmal, und diesmal war er sicher, dass er die richtige Wirkung erzielte. Er machte damit einen sicheren, urteilsfähigen Eindruck, hatte aber auch eine gewisse Schärfe übermittelt. Graf Arndt würde keinen Zweifel daran haben, dass mit ihm nicht zu spaßen war.
Und er behielt Recht. Bedächtig zog Graf Arndt die Taschenuhr aus der Brusttasche seines Jacketts, betrachtete sie eine Weile und löste dann die Kette aus dem Knopfloch des Kragens. So unerwartet warf er Dr. Nissen die Uhr zu, dass dieser erschrocken zusammenzuckte und nicht schnell genug war, um die Uhr aufzufangen. Sie landete vor seinen Füßen. Und er wusste sofort, dass der Graf genau das beabsichtigt hatte. Er wollte ihm die Uhr nicht überreichen, sondern sie ihm vor die Füße werfen. Als Dr. Nissen gezwungen war, sich danach zu bücken, schämte er sich wie nie zuvor in seinem Leben. Wie schrecklich, dass er zu solchen Mitteln greifen musste!
Aber er ließ sich nichts anmerken. Bevor er die Uhr wegsteckte, vergewisserte er sich, dass sie keinen Schaden genommen hatte, dann fragte er: »Wann darf ich mit dem Geld rechnen?«
»Ich werde meinem Verwalter eine Nachricht zukommen lassen«, antwortete Graf Arndt ausweichend. »Er soll mir das Geld nach Sylt bringen. Dass das nicht von heute auf morgen geht, werden Sie einsehen.«
Dr. Nissen erhob sich und versuchte, freundlich und zufriedenauszusehen. »Sie werden es mich wissen lassen, wenn es so weit ist?«
Graf Arndt nickte nur und erhob sich ebenfalls.
»Vielleicht sehen wir uns bei der einen oder anderen Gelegenheit, dann brauchen Sie mir nicht extra jemanden zu schicken, wenn es so weit ist.«
»Unterstehen Sie sich«, zischte Graf Arndt, »mir auf irgendeinem Parkett dieser Insel zu begegnen. Ich könnte mich vergessen!«
Dr. Nissen nickte, als hätte er Verständnis für die unangenehme Situation des Grafen, was auch voll und ganz der Wahrheit entsprach, dann verbeugte er sich und verzichtete darauf, dem Grafen die Hand zu reichen. Vorsichtshalber verschränkte Graf Arndt sie auf dem Rücken, als hielte er es für möglich, dass Dr. Nissen an einem freundlichen Abschied gelegen war.
»Einen schönen Tag noch, Herr Graf.«
Dass er keine Antwort bekam, bekümmerte ihn nicht. Er hatte nicht damit gerechnet. Und dass keins der Dienstmädchen zur Stelle war, um ihm die Eingangstür zu öffnen, gefiel ihm. Dr. Nissen wäre jede Art von Höflichkeit in diesem Hause unerträglich gewesen.
Er trat über die Schwelle und blieb einen Augenblick stehen. Eigentlich sollte er jetzt zufrieden sein. Er hatte erreicht, was er wollte, es war erstaunlich glattgegangen. Der Graf würde ihm viel Geld bringen, und wenn er es nicht tat,
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