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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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sokräftig gewesen wie die des Mörders, und die Größe passte auch. Hätte er nicht diesen Kopfverband getragen, wäre er wohl nicht auf die Idee gekommen, dass dies der Mann sein könnte, der Geesche in der vergangenen Nacht niederstechen wollte; aber dass er eine Kopfverletzung hatte, erschien ihm wie ein wichtiges Indiz. Wenn er es war, dann hatte er es geschafft, sich trotz seiner Kopfverletzung in Sicherheit zu bringen. Nur … wie sollte dieser Mann in den Garten seines Bruders gelangen? Marinus hätte gerne jemanden gefragt, aber Arndt hatte Besuch von Dr. Nissen bekommen, Katerina war nicht ansprechbar und Elisa ebenfalls nicht. Dem Personal wollte er nicht mit der Frage kommen, wer der Mann mit dem Kopfverband war. So hatte er sich also entschlossen, dieser Frage erst später nachzugehen und zunächst Dr. Pollacseks Aufforderung zu einem Gespräch zu folgen.
    Es hatte sich schnell herausgestellt, dass der Kurdirektor ihm ein Angebot machen wollte. Mit großer Freundlichkeit hatte er Marinus empfangen, hatte ihm Tee und Gebäck servieren lassen und ihn behandelt wie einen hohen Gast. Dann war er schnell auf sein Anliegen zu sprechen gekommen. »Es war ein Fehler, Ihnen zu kündigen, mein lieber Rodenberg! Ich würde es gerne rückgängig machen.«
    Umständlich hatte er nach Gründen gesucht, warum er die Kündigung ausgesprochen hatte, und noch umständlicher dargelegt, warum er sie für nichtig erklären wollte. Marinus hatte ihm ungeduldig zugehört, gelegentlich genickt oder mit dem Kopf geschüttelt und darauf gewartet, dass er das Gespräch in eine andere Richtung lenken konnte. Noch bevor er Dr. Pollacsek erklärt hatte, dass er nicht mehr zur Verfügung stand, war es ihm zum Glück gelungen, die Sprache auf Geesches Flucht zu bringen.
    Tatsächlich war der Kurdirektor noch derart aufgebracht, dass er sich gern ablenken ließ. »Der alte Nermin ist tot! Geesche Jensen muss ihn umgebracht haben. Anscheinend habendie beiden sich einen Kampf geliefert. Diese Mörderin ist dabei verletzt worden. Wir haben viel Blut in ihrer Zelle gefunden.«
    Marinus hatte ihn mit offenem Munde angestarrt. Mörderin? Geesche wurde eine Mörderin genannt? Noch immer hallte dieses Wort in ihm nach. Geesche, eine Mörderin! Er seufzte tief auf, sah in die Dünen, in den Himmel, auf das Ende des Weges … und schüttelte den Kopf über den Frieden, der ihn umgab. Geesche hoffte auf gute Nachrichten, und mit welchen musste er aufwarten? Er musste ihr sagen, dass sie des Mordes verdächtigt wurde, dass der Mann, der sie töten wollte, flüchtig war und dass Heye Buuß die Absicht hatte, sämtliche Fischerboote, die ablegten, kontrollieren zu lassen und die Fischer davor zu warnen, Fremde mitzunehmen, die aufs Festland wollten. Was sollte nun aus ihnen werden?
    Zwischen den Dünen tauchte ein Reiter auf, der sein Pferd zum Strand hinablenkte. Dr. Pollacsek! Er hatte Marinus erzählt, dass er mal wieder von Westerland nach Wenningstedt reiten wolle, wie er es früher täglich getan hatte. Seine gesundheitlichen Probleme hatten ihn in den letzten Monaten davon abgehalten, aber an diesem Tag traute er sich zu, ein oder zwei Stunden im Sattel zu sitzen, ohne Magenschmerzen zu bekommen.
    Marinus hoffte, dass der Kurdirektor ihn nicht sah. Er wollte nicht noch einmal gebeten werden, die Kündigung zu vergessen, gleich morgen wieder mit der Arbeit zu beginnen und dem armen Dr. Pollacsek nachzusehen, dass er sich zu etwas hatte hinreißen lassen, was er mittlerweile selbst nicht mehr verstand.
    »Wenn Sie’s nicht verstehen, ich kann es Ihnen sagen«, hatte Marinus ironisch geantwortet und sich heimlich an Pollacseks Beklommenheit erfreut. »Sie wollten mich von der Insel entfernen. Dr. Nissen war Ihnen wichtiger als ich. Glauben Sie, das habe ich nicht durchschaut? Aber so lasse ich mit mir nichtumspringen, Herr Dr. Pollacsek.« Derart energisch war er natürlich erst geworden, als er alles wusste, was er vom Kurdirektor erfahren wollte. Marinus war aufgestanden und hatte ein gekränktes Gesicht gezogen. »Ich weiß nicht, warum Sie Ihre Meinung geändert haben, und ich will es auch gar nicht wissen. Ich weiß nur, dass ich unter diesen Umständen nicht mehr mit Ihnen zusammenarbeiten möchte.«
    Dass ihm das Herz wehtat, ließ er nicht erkennen. Er gestand es sich nicht einmal selbst ein. Jetzt galt nur eins: seine Zukunft mit Geesche. Wenn er mit ihr sein Glück fand, dann würde es auch wieder eine Zukunft als Eisenbahningenieur

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