Hebamme von Sylt
seine Arme herunterfallen lassen, war ihr mit schleppenden Schritten in die Küche gefolgt und hatte mühsam gelächelt, weil er wusste, dass sie ein Lächeln von ihm erwartete.
Marinus’ Armen dagegen musste sie sich lachend entziehen, sie griffen erneut nach ihr, kaum dass sie sich ihnen entwunden hatte, und er küsste sie so lange, bis sie merkte, dass auch ein Kuss lachen konnte.
»Du wunderst dich nicht?«, fragte er noch einmal, als er ihr in die Küche folgte.
Geesche drehte sich zu ihm um und genoss nicht nur Marinus’ Lachen, sondern auch ihr eigenes. »Hanna hat mir gesagt, dass du kommst.«
»Hanna!« Auch Marinus hatte seine eigene Art, diesen Namen auszusprechen. Geesche wusste, dass Katerina von Zederlitz ihn verächtlich rief, von Freda kam er meist seufzend,von Ebbo mit einem Achselzucken begleitet. Nur die Stimme von Elisa von Zederlitz klang fröhlich, wenn sie Hannas Namen aussprach, Marinus’ dagegen fragend, und wie ihre eigene Stimme sich anhörte, wenn sie Hanna begrüßte oder von ihr redete, wusste sie nicht. Der Einzige, der Hannas Namen genauso respektvoll aussprach wie alle anderen, war Graf Arndt von Zederlitz.
»Woher wusste Hanna, dass ich mitkomme?«
Geesche zuckte mit den Achseln, während sie für Marinus einen Stuhl heranrückte. »Bei Hanna weiß man nie, woher sie ihre Kenntnisse hat. Sie hält die Ohren offen und hat ihre Augen überall. Manchmal auch dort, wo sie nicht sein dürfen.« Sie ging zum Herd, wo immer der Kessel mit heißem Wasser über dem Feuer hing. Dann fasste sie einen Entschluss. »Lass uns in die Wohnstube gehen. Ich hole den Samowar aus dem Pesel. Der ist für besondere Gäste gedacht …«
Das Grundstück, auf dem Graf von Zederlitz sein Haus hatte errichten lassen, war einmal Weideland gewesen. Kaiken Daseler gehörte es, sie hatte dort Schafe gehalten und sich mühsam mit dem Verkauf ihrer Wolle über Wasser gehalten, seit ihr Mann von großer Fahrt nicht zurückgekehrt war. Es hieß, er sei bei einer Meuterei auf dem Weg nach Amsterdam umgekommen, es gab aber auch böse Zungen, die behaupteten, er sei dort vor Anker gegangen und habe dafür gesorgt, dass seiner Frau eine Todesnachricht überbracht wurde. So konnte er ungestört ein neues Leben mit einer hübschen Holländerin beginnen. Als der Graf der armen Frau für das wertlose Stück Land einen Kaufpreis bot, den sie sich mehrmals wiederholen ließ, weil sie ihren Ohren nicht traute, glaubte sie, dass das Leben es nun endlich einmal gut mit ihr meinte. Graf Arndt hatte ausgerechnet dieses Stück Land haben wollen, weil es gerade hier seiner Frau am besten gefiel. Es gab eine herrliche Aussicht auf die Dünen, die für Kaiken keine Bedeutung gehabt hatte, derWeg zum Strand war nicht weit und kein Haus in der Nähe, durch deren Bewohner sich Gräfin Katerina gestört fühlen könnte. Von den Häusern Westerlands war keins in der Nähe des Strandes errichtet worden. Ihre Bewohner hatten alle einen Fußweg von mindestens zehn Minuten vor sich, wenn sie zum Meer wollten. Diese Anstrengung sollte Gräfin Katerina nicht zugemutet werden.
Das Glück der früheren Grundstücksbesitzerin war dann aber doch nur von kurzer Dauer gewesen, weil sich ihr neuer Reichtum unter den Strandräubern schnell herumgesprochen hatte. Nicht nur, dass ihr das Geld des Nachts gestohlen wurde, sie hatte es mit so viel Wut und Verzweiflung verteidigt, dass sie an den Folgen des Kampfes, den sie sich mit den Strandräubern geliefert hatte, zwei Tage später starb. So konnten das Glück über das neue Haus nur die Handwerker der Insel genießen, die einen Sommer und einen ganze Winter zu tun hatten und mehr Geld verdienten als in den Jahren zuvor. Aber das war noch nicht alles! Von da an gab es einige Sylterinnen, die während des Sommers in diesem Hause ihr Auskommen als Dienstmädchen fanden und dafür sorgten, dass ihre Ehemänner gerufen wurden, wenn es Reparaturarbeiten gab oder für die Pflege des Gartens Hilfe benötigt wurde. Wer bei Graf Zederlitz Arbeit gefunden hatte, wurde von vielen beneidet.
Hanna stand in der Eingangstür und hielt einen kleinen Strauß aus Pantoffelblumen in der Hand, den sie mit Gras und Moosspitzen aufgepolstert hatte. In Gegenwart der gräflichen Familie versuchte sie nie, ihre Behinderung zu verbergen. Im Gegenteil! Sie stützte sich am Türpfeiler ab und nahm sogar den Arm an, den die Haushälterin Owena Radke ihr hinhielt, die das Mitleid überkommen hatte.
Elisa war die Erste,
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