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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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während des Winters? Hat er sich auf meine Rückkehr gefreut?«
    Hanna riss sich von ihren Betrachtungen los und blickte Elisa an. »Ich soll Ihnen sagen, Comtesse, dass er Sie sehnsüchtig erwartet.«
    »Sag Elisa zu mir, wenn wir allein sind! Das habe ich dir schon im letzten Sommer angeboten.«
    Aber Hanna schüttelte den Kopf. Zu groß war ihre Angst, dass die Gräfin dahinterkommen könnte, dass ihre Tochter respektlos angeredet wurde. Nein, dieses Risiko wollte sie nicht eingehen. Besser, sie blieb bei der Anrede, die der Grafentochter gebührte, dann würde sie nie irrtümlich die falsche anwenden. »Er hofft, dass er Sie bald sehen darf, Comtesse.« Und vorsichtig, als könnte sich während des Winters etwas geändert haben, was ihr trotz Elisas sehnsüchtigen Augen entgangen war, fügte sie an: »Allein!«
    Elisa warf sich rücklings aufs Bett, streckte die Arme aus und lachte zur Decke. »Gott sei Dank!« Mit einem kraftvollen Schwung, für den Hanna sie bewunderte, setzte sie sich aber schnell wieder auf. »Mein Vater wird dich auch in diesem Jahr als Gesellschafterin einstellen, dafür habe ich gesorgt.« Sie umarmte Hanna und drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe. »Wir werden einen herrlichen Sommer haben!« Damit stand sie auf und ging zum Spiegel, um sich zu betrachten. »Wie ich aussehe nach der langen Reise! Das Dampfboot bis nach Munkmarsch ist entsetzlich unbequem.« Sie drehte sich nach links und rechts und betrachtete ihr Gesicht mit einem gequälten Ausdruck, als wäre sie allen Ernstes unzufrieden mit ihremhübschen Äußeren. »Wie soll ich meine Haare tragen, wenn ich Ebbo wiedersehe? Lang oder aufgesteckt?«
    Hanna antwortete nicht. Sie konnte Elisa nur anstarren. Dann griff sie sich an die Schläfe und fuhr sacht der Spur von Elisas Lippen nach, die sie noch feucht und kühl dort spürte.
     
    In der Wohnstube war es warm und gemütlich. Der so genannte Beilegeofen, der aus gusseisernen Platten bestand, sorgte dafür, dass es in diesem Raum beinahe so warm war wie in der Küche. Er wurde von dort aus beheizt und hatte keine Öffnung zum Zimmer hin, abgesehen von einem Wärmefach auf der rechten Seite des Ofens.
    »In diesem kalten Sommer kann man den Beilegeofen noch gut gebrauchen«, sagte Geesche.
    Marinus nickte. »Ja, es ist viel zu kalt für diese Jahreszeit.« Aus Verlegenheit und weil er nicht wusste, wohin mit seinen Händen, griff er sogar zu den beiden Handwärmern des Beilegeofens. Diese Handwärmer waren zwei große Messingknöpfe, die links und rechts am vorderen Teil des Beilegeofens angebracht waren und die Wärme des Ofens übertrugen. Bei Bedarf konnten sie auch abgeschraubt und als Taschenöfchen benutzt werden.
    »Ich hole den Samowar«, sagte Geesche und verließ die Wohnstube, um in den Pesel zu gehen. Die Tür ließ sie offen, als wollte sie Marinus nicht allein lassen und sich selbst das Gefühl geben, in seiner Nähe zu bleiben.
    Als sie den Samowar vorsichtig von dort in die Küche tragen wollte, um ihn mit heißem Wasser und heißer Asche zu füllen, blieb sie vor der geöffneten Tür stehen und warf Marinus, der noch immer vor dem Beilegeofen stand und die Handwärmer umklammerte, einen Blick zu. Nach dem nächsten Schritt blieb sie wiederum stehen, weil sie merkte, dass er in Gedanken versunken war und sie nicht wahrnahm. Unsicherheit beschlich sie, als sie sah, wie er sich von den Handwärmern löste und sichumblickte. Was sah er? Eine für Sylter Verhältnisse gut eingerichtete, behagliche Wohnstube? Oder einen bescheidenen Raum, der nicht mit den Wohnverhältnissen der von Zederlitz mithalten konnte? Marinus war im Hause eines Grafen aufgewachsen, aber auch im Zimmer eines Dienstmädchens. Der Sohn des Grafen, der in einem eleganten Reiseanzug vor ihrer Tür erschienen war, schaute womöglich spöttisch auf die schlichten dunklen Holzdielen, die verfliesten Wände, die blauen Blumentöpfe, die sich auf jeder weißen Fliese wiederholten, auf den Tisch vor dem Fenster, die gepolsterten Holzstühle und die Türen ihres Alkovens, die Geesches Großvater selbst bemalt hatte. Aber der Sohn der Dienstmagd würde wohl beeindruckt sein von der reichen Ausstattung ihres Hauses. Was war Marinus Rodenberg, wenn er zu ihr kam? Sohn eines Grafen oder einer Dienstmagd? Als Sohn der Dienstmagd würde sie ihn lieben können! Aber als Sohn des Grafen? Die Familie von Zederlitz überschattete nun schon seit sechzehn Jahren ihr Leben. Sollte das immer so weitergehen, wenn

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