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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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der braven Bürger, die an diesen außergewöhnlichen Attributen erkannten, dass sie Strandräuber vor sich hatten.
    Hanna rechnete damit, dass der Mann zur östlichen Seite des Hauses schleichen würde, wo der Pesel war, aber er bewegte sich in genau entgegengesetzter Richtung um das Haus herum. Hannas Herz, das schmerzhaft gegen die Rippen geschlagen hatte, beruhigte sich allmählich. Wäre der Mann in den Pesel eingestiegen, würde es schwer sein, Ebbo und Elisa rechtzeitig zu warnen, die sich in der Wohnstube, direkt neben dem Pesel, aufhielten. Obwohl Hanna zunächst erleichtert war, wurde sie nun noch unruhiger. Warum interessierte sich der Mann für den westlichen Teil des Hauses? Hier befand sich das Gebärzimmer und das Fremdenzimmer, das Dr. Nissen bewohnte, außerdem der ehemalige Stall, der gerade erst im Begriff war, zu Fremdenzimmern zu werden. In diesem Teil des Hauses gab es keine Kostbarkeiten, nichts, was sich zu stehlen lohnte. Außerdem hielt sich dort der einzige Mensch auf, der das Haus zurzeit bewohnte, der einzige also, der den Dieb stören und stellen konnte. Von Ebbo und Elisa konnte er nichts wissen, aber dass Dr. Nissen als Sommergast bei Geesche Jensen wohnte, wusste jeder. Auch ein Strandräuber würde sich diese Kenntnisse verschaffen, ehe er in ein Haus einbrach.
    Hanna stockte der Atem, als sie feststellte, dass die schwarze Gestalt sich ausgerechnet an Dr. Nissens Fenster zu schaffen machte. Es saß nicht fest im Schloss, die beiden Fensterflügel berührten einander lediglich, bildeten einen spitzen Winkel nach außen, durch den frische Nachtluft ins Zimmer gelangen konnte. Dr. Nissen hatte die Fensterflügel innen mit einem Riegel gesichert, aber als er leise quietschte, blieb trotzdem alles ruhig. Noch ein raues Schaben, ein kaum wahrnehmbares Knarren, dann war das Fenster geöffnet.
    Hanna brach der Schweiß aus. Sie musste Ebbo und Elisa warnen! Andererseits durfte sie sich nicht bewegen, solange sie befürchten musste, dass der Mann sie entdeckte. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als hinter dem Wall auszuharren und abzuwarten.
    Beim Sprung in Dr. Nissens Zimmer war der fremde schwarze Mann bereits unbekümmerter. Hanna konnte hören, wie die Dielen unter seinen Füßen aufstöhnten. Dann folgten ein Rascheln, ein Scharren, ein fragender Laut. Dankbar sah Hanna, dass der Mann das Fenster hinter sich schloss, als wollte er allein sein mit dem, was er vorhatte. Dass das Knarren des Fensterschlosses sich in der Nacht verzehnfachte, schien ihn nicht zu kümmern. Dafür hatte Hanna nur eine Erklärung: Er wusste nicht, dass in diesem Zimmer ein Feriengast wohnte. Was, wenn Dr. Nissen aufwachte und einen Fremden vor seinem Bett stehen sah?
    Als keine Bewegung mehr hinter dem Fenster zu erkennen war, nahm Hanna allen Mut zusammen. Am liebsten hätte sie sich noch tiefer geduckt, um zunächst abzuwarten, was geschah, und sicher sein zu können, dass der Mann sie nicht entdeckte. Aber sie wusste, wenn sie diese Chance verspielte, würde sie die Freundschaft der Comtesse endgültig verloren haben. Sie musste es riskieren!
    Aus Dr. Nissens Zimmer drangen nun Laute, die sie nicht zu deuten wusste, aber sie konnte und wollte sich nicht darum kümmern. Eilig erhob sie sich und humpelte so schnell sie es vermochte, am Fenster der Küche vorbei, um die Hausecke herum, hinter der die Kellerkammer lag, das winzige Zimmer über dem einzigen Kellerraum des Hauses. Atemlos blieb sie stehen, um zu lauschen. Folgte ihr jemand? Öffnete sich Dr. Nissens Fenster wieder? Oder gar die Haustür?
    Aber alles blieb still. Hanna schwankte am Fenster des Pesels vorbei und sah um die Ecke, ehe sie weiterhumpelte. Dann war sie vor dem Fenster der Wohnstube angekommen. Sie wusste,es war nur angelehnt, es würde sich leicht öffnen lassen. Und sie sah den schwachen Schein einer Kerze, die den Raum bis zum Alkoven in ein diffuses Licht tauchte. Hell genug, um die beiden weißen Körper zu erkennen …

XXII.
    Katerina von Zederlitz griff sich stöhnend an den Kopf. »Diese Migräne! Heute ist sie unerträglich.«
    Graf Arndt betrachtete seine Frau aufmerksam. Sie war sehr blass, die steile Kerbe zwischen den Augenbrauen grub sich so tief ein, dass er hoffte, Katerina würde nirgendwo ihr Spiegelbild entdecken. Natürlich wusste eine Dame ihres Standes, dass sie nicht die Stirn zu krausen hatte, weil das über kurz oder lang zu hässlichen Falten führen musste. Katerina hatte früh gelernt, Missbilligung,

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