Hebamme von Sylt
ihn verblüfft an. »Du selbst?«
»Das bin ich Dr. Nissen schuldig. Soll er von unserem Kutscher beim Dinner gestört werden? Oder in einem interessanten Gespräch? Wenn er schon behelligt werden muss, möchteich ihm die Ehre erweisen, das höchstpersönlich zu tun. Das ist ein Gebot der Höflichkeit.«
Katerina stieß einen Seufzer aus, der zustimmend klang. Dann schloss sie die Augen und ließ sich zurücksinken.
Graf Arndt wies Eveline, die gerade das Haus verlassen wollte, an, sich um seine Frau zu kümmern, dann befahl er Rosemarie, die sich ebenfalls auf den Feierabend vorbereitete, dafür zu sorgen, dass der Kutscher anspannte. Er selbst ging in sein Zimmer, um die bequeme graue Hausjacke gegen ein hellbraunes Jackett zu tauschen, das ihm angemessen erschien. Formell natürlich, aber nicht elegant.
Ebbo fühlte sich so stark, wie die Liebe ihn seit langem machte, und so schwach, wie ihn die Liebe in diesem Sommer machte. Stark, weil die Liebe ihn über alle anderen erhob, und so schwach, dass er sich wünschte, dieser Abschied, dieser letzte Abend mit Elisa möge zu Ende gehen, damit der Schmerz, der ihn so schwächte, wieder zur Sehnsucht wurde, die ihn aufrichten konnte. Dass es eine unerfüllbare Sehnsucht sein würde, war nicht wichtig. Sich nach etwas zu sehnen hieß immer, eine winzige Hoffnung zu haben. Ebbo wollte nicht darüber nachdenken, wie unsinnig diese Hoffnung war. Er wusste, dass sie flackerte wie die Kerze, die er auf den Tisch gestellt hatte. Dass sie irgendwann erlöschen könnte, daran wollte er nicht denken.
Still lag er neben Elisa, ihre Hand in seiner, seine Haut an ihrer, und starrte an die Decke von Geesches Alkoven. Er wusste, dass Elisa denselben Punkt im Auge hatte, dass sie beide auf das winzige Astloch starrten, das sich in der hölzernen Verkleidung direkt über ihnen befand. Er sog den Geruch des Raumes ein, der ein wunderbares Gemisch aus den Gerüchen der Küche und der Geruchlosigkeit des Pesels war, und lauschte auf die Geräusche der Insel, die von weither kamen. Sie waren ihm einerseits vertraut, hörten sich aber andererseitsin Geesches Haus ganz anders an als in der Kate seiner Mutter. So sehr er sich auch bemühte, es war ihm nicht gelungen, aus Geesches Alkoven etwas Vertrautes zu machen, indem er sich mit Elisa hierhin zurückzog. Der Alkoven war fremd geblieben. Er gehörte nicht zu ihnen, sie hatten sich seiner bemächtigt, waren hier eingedrungen, ohne um Erlaubnis zu bitten, hatten damit all das Unerlaubte verdoppelt und verdreifacht. Ebbo wollte, er hätte nicht auf Hanna gehört, nicht an die Bequemlichkeit und die Sicherheit gedacht, sondern sich mit Elisa auch diesmal in der Natur versteckt. Dort wären sie zwar nicht so geschützt gewesen, aber das Fleckchen, das sie sich ausgesucht hätten, wäre nicht der Besitz eines anderen gewesen.
»Wir werden immer zusammenbleiben«, sagte er hilflos, ohne den Blick von dem Astloch zu nehmen. »In unserer Erinnerung.«
»Die kann uns keiner nehmen«, gab Elisa zurück. Das hatte sie schon mehrmals gesagt, in immer größerer Verzweiflung, immer nachdrücklicher, als könnte es wahr werden, je öfter sie behauptete, es sei möglich, den Rest des Lebens in einer Erinnerung zu verbringen.
Ebbo umschloss ihre Hand fester und spannte einen Muskel an, damit er näher an sie heranrücken und ihre Haut noch deutlicher spüren konnte, ohne sich bewegen zu müssen.
»Es ist gut, dass wir diesen Abschied haben«, sagte Elisa. »Ich hätte es nicht ertragen, dich nie wiederzusehen.«
»Du bist ein großes Risiko eingegangen.«
Elisa schwieg eine Weile, dann antwortete sie: »So groß ist das Risiko nicht. Alexander würde mich ja verstehen.«
Ebbo merkte, wie der Unwille wieder in ihm aufstieg. Er war in seiner Magengegend entstanden, als Elisa ihm erklärt hatte, warum der Fürst von Nassau-Weilburg mit der Entdeckung, die er in den Dünen gemacht hatte, so kaltblütig umging, und nun war dieser Unwille in seinem Herzen angekommen. »Wassoll das für eine Ehe werden?«, fragte er. »Er wird bei jeder Gelegenheit seine Geliebte von der Küche ins Bett holen … und du?«
»Ich könnte das Gleiche mit dem Stallburschen tun«, gab Elisa so leise zurück, dass Ebbo sie kaum verstehen konnte. »Muss ich Alexander nicht dankbar sein? Ich weiß nun, worauf ich mich einlasse. Die Enttäuschung, nach meiner Hochzeit zu entdecken, dass er eine andere liebt, bleibt mir erspart.«
Ebbo drehte sich auf die Seite, stützte
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