Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
Vom Netzwerk:
Pollacsek äußerst wichtig. Hatte er zunächst noch geglaubt, es reiche völlig aus, dass der Inselvogt die Königin begrüßt hatte, war er bald nicht mehr so sicher gewesen, ob er sich eine schwere Verfehlung vorwerfen musste. Zwar war es der Wille der Königin gewesen, inkognito zu reisen, aber Pollacsek hatte bald begriffen, dass er sich hinter dieser Tatsache nicht verstecken konnte. Es hätte ihm zu Ohren kommen müssen, dass nicht eine Gräfin Vrancea, sondern die Königin von Rumänien in Westerland erwartet wurde. Und wenn der Inselvogt und sogar Graf von Zederlitz zur Begrüßung der Königin erschienen waren, hätte auch der Kurdirektor sich die Ehre geben müssen.
    Inzwischen hatte er ein heftiges Streitgespräch mit Heye Buuß geführt, der seine Frage nach der Königin mit einer Gegenfrage beantwortet hatte: »Sie wussten nicht, dass Königin Elisabeth auf Sylt erwartet wurde?« Dabei hatte er die Augenbrauen so hoch gezogen, dass sie beinahe unter seiner roten Haarmähne verschwanden.
    »Wie konnte ich das wissen, wenn Sie mich nicht informieren?«, hatte Pollacsek wütend entgegnet.
    Aber Heye Buuß hatte nur kopfschüttelnd nach einem Telegramm gegriffen und es Pollacsek unter die Nase gehalten. »Sie sollten sich gelegentlich mal in der Badedirektion blicken lassen, verehrter Pollacsek, statt immer nur in Ihrem Hause über dem Zeichenbrett zu sitzen.« Anzüglich hatte er hinzugefügt: »Oder am Fenster zu stehen. Dann hätten Sie von dieser Mitteilung Kenntnis gehabt.«
    Pollacseks Hände hatten zu zittern begonnen, als er den Inhalt des Telegramms las, das der preußische Minister des Innern von Berlin an den Oberpräsidenten nach Schleswig geschickt hatte, mit der Bitte, es den Behörden auf Sylt weiterzuleiten. ›Königin von Rumänien inkognito als Gräfin Vrancea am Sonnabend eintreffend.‹
    Der Oberpräsident hatte dieser Mitteilung noch zugefügt,dass die Königin über Tondern einreisen werde, mit der Inselbahn nach Westerland zu fahren und in der Villa Roth Quartier zu nehmen gedenke.
    Der Hausdiener führte ihn in die Halle und bat ihn, dort auf einem zierlichen Sofa Platz zu nehmen. Marie Roth, die Frau des Apothekers Carl Roth, ließ ihn nicht lange warten. Sie war eine schlanke, dunkelhaarige Frau von gepflegtem Äußeren, stets sehr damenhaft und formell gekleidet, einerseits von großer Liebenswürdigkeit, andererseits von einer Geschäftstüchtigkeit, die ihre gewählten Worte manchmal in einem anderen Licht erscheinen ließen. Ihr hatte der Apotheker es zu verdanken, dass sein Erbe in der Villa Roth gut angelegt war. Seine Frau war auf dem Wege, das Haus zum Besten am Platze zu machen. Dass die Königin von Rumänien nun hier abgestiegen war, dürfte der Durchbruch geworden sein. Die exzellente Lage des Hauses hart an den Dünen in unmittelbarer Nähe des Meeres und eines Strandübergangs würde ein Übriges tun. Alle anderen Häuser Westerlands hatten sich vom Meer zurückgezogen und der Sicherheit den Vorzug gegeben; das Ehepaar Roth jedoch schien beim Bau ihrer Villa schon den Fremdenverkehr im Auge gehabt zu haben und die Gewissheit, dass Kurgäste den Anblick des Meeres genießen wollten. So lag die Villa am Ende der Strandstraße auf der Düne, aber noch in der Nähe von Geschäften, die den Damen Zerstreuung bieten konnten. Etwas weiter nordwestlich befand sich nur noch die riesige Villa von Baron Bauer-Breitenfeld, aber sie machte der Villa Roth die exponierte Stellung nicht streitig.
    »Ihre Majestät erwartet Sie«, sagte Marie Roth und ging Dr. Pollacsek voran, der ihr mit gemischten Gefühlen folgte. Wie würde die Königin ihn empfangen? Wie jemand, der es nicht für nötig befunden hatte, sie in der Stunde ihrer Ankunft auf Sylt zu begrüßen?
    Zum Glück merkte er schnell, dass er sich umsonst Sorgen gemacht hatte. Königin Elisabeth begrüßte ihn freundlich,hörte sich seine Entschuldigungen lächelnd an und versicherte ihm dann, dass es nichts zu verzeihen gäbe. »Wäre es mein Wunsch gewesen, dass mich die Obrigkeit von Westerland an der Inselbahn in Empfang nimmt, hätte ich meinen Besuch offiziell angekündigt.«
    Sie saß in ihrem Salon am Schreibtisch, der so aufgestellt worden war, dass sie den Blick auf das Meer genießen konnte, wenn sie vom Schreiben ausruhte oder sich Gedanken über das nächste Wort, den nächsten Satz machte. Pollacsek wies sie den Platz zu ihrer Rechten zu, am schmalen Ende des Schreibtisches, mit dem Fenster an seiner rechten

Weitere Kostenlose Bücher