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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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schlafen gegangen waren, er wollte sich so bald wie möglich in seinem Bett verkriechen und in Ruhe nachdenken. Dort gelang es ihm vielleicht, einen Grund für Arndts seltsames Verhalten zu finden, den er ihm verzeihen konnte. Er musste einfach sehen, dass er unbeobachtet ins Haus kam, damit er niemandem Rede und Antwort zu stehen brauchte. Vor allem Arndt nicht. Und gleich am nächsten Morgen würde er zu Geesche gehen und ihr sein Herz ausschütten.
    Dieser Gedanke tat ihm so gut, dass er sich tatsächlich besser fühlte, dass seine Schritte länger und seine Haltung aufrechter wurde. Geesche! Mit ihr war alles leichter zu ertragen. Wenn er doch endlich ihr Jawort bekäme, sich in ihr Leben fallen lassen und ihres in seins aufnehmen konnte!
    Sein Plan, ungesehen ins Haus und in sein Zimmer zu kommen, misslang gründlich. Kaum hatte er die schwere, knarzende Eingangstür geöffnet, hörte er schon Katerinas Stimme: »Marinus? Bist du das?«
    Er seufzte leise, warf einen wehmütigen Blick die Treppe hinauf, dann ging er zur Wohnzimmertür, die offen stand. »Guten Abend, Katerina! Du bist allein?«
    »Arndt ist gerade aufgebrochen«, entgegnete seine Schwägerin und wies mit einer Geste auf den Sessel an ihrer Seite, die gleichermaßen einladend wie herrisch war. »Herr Roth hat ihn ins ›Strandhotel‹ eingeladen.«
    »Der Besitzer der Villa Roth? Wo die Königin logiert?«
    Katerina lächelte spöttisch. »Arndt mag solche Herrenabende nicht besonders. Aber Alexander von Nassau-Weilburg wird auch dabei sein. Also konnte Arndt nicht ablehnen.« Nun lachte sie sogar leise, als sei sie schadenfroh. »Herr Roth legte Wert darauf, dass auch ein rumänischer Dichter dabei ist, auf den die Königin große Stücke hält. Längere Reisen macht sie nur, wenn er an ihrer Seite ist, damit sie einen Menschen bei sich hat, mit dem sie ihr Interesse teilt. Herr Roth sagt, dieser junge Lyriker sei ein sehr interessanter Mensch, mit dem sich hervorragend über den Sinn des Lebens plaudern lässt. Er soll auch ein Anhänger von Freud sein und so leidenschaftlich diskutieren können wie kein anderer.«
    Marinus hatte keine Ahnung, wer dieser Freud war, und wollte es auch nicht wissen. Aber dass es seinem Bruder Vergnügen bereiten könnte, mit einem rumänischen Dichter über den Sinn des Lebens zu diskutieren, konnte er sich nicht vorstellen. Und er hoffte, dass Katerina davon absehen würde, ihn nun in etwas zu unterweisen, was er als illegitimer Spross eines Grafen nicht gelernt hatte, obwohl seine Bildung immerhin deutlich besser war, als sie dem unehelichen Sohn eines Dienstmädchens zuteilgeworden wäre.
    Bevor Katerina ihm etwas von rumänischer Dichtkunst, von diesem Herrn Freud oder von ihrer Unterhaltung mit Königin Elisabeth im Strandrestaurant erzählen konnte, musste er unbedingt einen Grund finden, sich zurückzuziehen. Nichts interessierte ihn im Moment weniger als die Gespräche zwischengelangweilten Adeligen, als gesellschaftlicher Klatsch oder die Ausdrucksformen, mit denen sich Lyriker über den Sinn des Lebens auseinandersetzten.
    Doch er schien sich getäuscht zu haben. Bevor er sich niederlassen konnte, bat Katerina ihn: »Schließ bitte die Tür, Marinus. Ich möchte nicht, dass unser Gespräch von den Dienstboten belauscht wird. Und Elisa soll auch nichts davon mitbekommen.«
    Marinus erfüllte ihre Bitte. Als er sich zu seiner Schwägerin setzte, spürte er, wie die Müdigkeit von ihm abfiel. Anscheinend hatte Katerina ihn nicht erwartet, um ihn mit Gesellschaftsklatsch zu unterhalten. Aber dass sie auf ihn gewartet hatte, dessen war er ganz sicher. Irgendwas hatte sie auf dem Herzen. In ihren kühlen Augen brannte ein winziges Feuer, das er nicht kannte. Ihre Mundwinkel bebten, als könnten sie sich nicht entscheiden zwischen einem unverbindlichen Lächeln und der Arroganz, die niemand so gut und sicher dosieren konnte wie Katerina von Zederlitz.
    »Schön, dass du nach Hause kommst, ehe Arndt zurück ist«, sagt sie und strich ihr dunkelbraunes Taftkleid glatt, das sie gern am Abend trug, wenn sie sich nur in Gesellschaft ihrer Angehörigen und der Dienstboten befand und sich eine Kleidung zugestand, die mit weniger als zwanzig Knöpfen auskam und eine Passform hatte, unter dem sie ihr Mieder etwas weniger eng schnüren konnte. »Ich möchte gern ungestört mit dir reden«, sagte sie und ergänzte: »Allein.«
    Marinus spürte, wie ihn die Anspannung aufrichtete. »Was ist los?«
    »Ich mache mir

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