Hebamme von Sylt
absonderlich?«
Dazu schien Dr. Nissen nichts sagen zu können, aber als Pollacsek überlegte, ob er Heye Buuß informieren sollte, riet er ihm ab. »Das könnte die Königin brüskieren.«
Pollacsek schloss sich unverzüglich seiner Meinung an und trank den Cognac in einem Zuge aus. Im selben Augenblick schien er es zu bereuen. »Sie haben recht, Doktor, ich hätte nicht so viel trinken sollen.« Er griff sich an den Kopf und stöhnte. »Mein Gott, ich bin fix und fertig!«
»Besser, Sie legen sich schlafen.« Dr. Nissen stand auf. »Unverzeihlich, wie lange ich Sie aufgehalten habe!« Er griff nach Pollacseks Arm. »Kommen Sie, ich begleite Sie in Ihr Schlafzimmer.« Und als Pollacsek abwehren wollte, ergänzte er streng: »Als Ihr Arzt! Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass Sie so vielCognac trinken! Nun will ich wenigstens dafür sorgen, dass Sie heil ins Bett kommen und sich ausschlafen.«
Aber als Pollacsek energisch jede Hilfe zurückwies, ließ er es dabei bewenden. »Also gut, ich will Sie nicht bedrängen. Aber Sie müssen mir versprechen, morgen strenge Diät zu halten.«
Julius Pollacsek versprach es hoch und heilig, dann begleitete er den Arzt die Treppe hinab. Nachdem er sich von Dr. Nissen verabschiedet und die Tür hinter ihm geschlossen hatte, wäre er gerne noch einmal in die erste Etage hinaufgestiegen, um zu sehen, ob der schwarze Mann irgendwo zu entdecken war, doch er fühlte sich außerstande.
»Nie wieder so viel Cognac auf einmal!«
Schwankend ging er in sein Schlafzimmer und zog sich aus. Wann würde er endlich wieder ohne Angst leben können? Hörte das denn nie auf?
Sie starrte die schwankende Sturmlaterne an, während sie horchte. Je stärker ihre Augen beansprucht wurden, desto besser konnte sie hören, was gesagt wurde. Ihr Name war mehrmals gefallen, sogar der ihrer Mutter. Was hatte das zu bedeuten? War man ihr auf die Schliche gekommen? Sollte es mit ihrer Arbeit als Gesellschafterin vorbei sein? Und sollte auch ihre Mutter erfahren, was sie, Hanna, für die Comtesse getan hatte?
Sie erhob sich mühsam und richtete sich hinter dem Steinwall auf, hinter dem sie Deckung gesucht hatte. Sie wurde ruhiger. Nein, wenn sie entlarvt worden war, dann hätte auch Ebbos Name fallen müssen und der Name der Comtesse ebenfalls. Doch von beiden war nicht die Rede gewesen, da war sie sicher, obwohl sie von den Zusammenhängen des Gesprächs nichts hatte verstehen können.
Hanna klopfte sich ausgiebig den Sand vom Kleid und fühlte sich danach ruhiger und sicherer. Vermutlich hatten der Graf und sein Bruder über den Vorfall am Nachmittag gesprochen.Es war ihr gleich so vorgekommen, als hätte Marinus Rodenberg durchschaut, wer wirklich die Schuld daran trug, dass über dem Kopf der Gräfin ein Sonnenschirm aufgespannt wurde, der voller Sand war. Wenn das so war, dann hatte der Graf sie verteidigt. Wie nachmittags am Strand! Es war wie ein Wunder! Sie konnte sich tatsächlich darauf verlassen, dass der Graf immer auf ihrer Seite stand.
Über Hannas Gesicht ging ein Lächeln. Graf Arndt von Zederlitz mochte sie! Was für ein wunderbares Gefühl! Und die Comtesse hatte ihr sogar ihre Freundschaft angeboten. Es kam Hanna manchmal sogar so vor, als könnte auch die Gräfin ein freundliches Wort an sie richten, wenn es nicht zu ihren Prinzipien zählte, das Personal niemals liebenswürdig, sondern nur anständig zu behandeln. Verächtlichkeit ließ sie Hanna selten spüren, eher so etwas wie wohlwollende Neugier, als wollte sie Hanna fragen, ob es in ihrer Familie häufig dieses Gebrechen gegeben habe und wie sie mit ihrer Verkrüppelung umgehe.
Hanna wurde traurig, wenn sie daran dachte, dass sie das alles irgendwann verlieren könnte. Aber seit die Comtesse Alexander von Nassau-Weilburg kennengelernt hatte, schärfte sie Hanna immer wieder ein, dass es einen gemeinsamen Sommer auf Sylt bald nicht mehr geben würde. Es sei denn, die Königin von Rumänien wollte auf der Insel Stammgast werden und legte dann Wert darauf, von Alexander von Nassau-Weilburg und seiner jungen Gemahlin begleitet zu werden.
Aber immer, wenn die Comtesse über diese Hoffnung sprach, ging auch über ihr Gesicht ein Schatten. »Wie soll ich es aushalten, Ebbo wiederzusehen, wenn ich mit einem anderen verheiratet bin?«
Das winzige Licht im Zimmer der Gräfin erlosch, in den Schlafzimmern von Graf Arndt und Marinus Rodenberg war es längst finster. So leise wie möglich huschte Hanna zurück in die Remise, in
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